KOLUMNE – FRÜSCH VOR LÄBERE WÄG - Und noch immer geht es uns zu gut
10.07.2020 KolumneUnd noch immer geht es uns zu gut
Die vergangenen Wochen und Monate haben unsere Wirtschaft gefordert. Viele KMU mussten sich existenzielle Gedanken über ihren weiteren Fortbestand machen – so auch diese Zeitung. Doch nicht nur das Gewerbe, wir alle waren und sind in ...
Und noch immer geht es uns zu gut
Die vergangenen Wochen und Monate haben unsere Wirtschaft gefordert. Viele KMU mussten sich existenzielle Gedanken über ihren weiteren Fortbestand machen – so auch diese Zeitung. Doch nicht nur das Gewerbe, wir alle waren und sind in irgendeiner Form von der COVID- 19-Pandemie und den daraus folgenden Verhaltensvorschriften betroffen. Umso erstaunlicher finde ich, dass wir es in der grössten Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs doch tatsächlich fertigbringen, flächendeckende Scheindebatten über politisch korrekte Gebäckbezeichnungen heraufzubeschwören und dem angeschlagenen Mittelstand als Corona-Souvenir steigende Benzinpreise und unnötige Flugticketabgaben zu schenken. Die negativen Begleiterscheinungen des jahrelangen Wohlstands holen uns ein. Quo vadis, Schweiz?
Minneapolis, USA, 25. Mai 2020, 21.25 Uhr Ortszeit. George Floyd wird ärztlich für tot erklärt. Was zuvor geschah, ist schrecklich – wenn ich an das innert kürzester Zeit viral gegangene Video denke, läuft es mir noch heute kalt den Rücken hinunter. Floyd, von schwarzer Hautfarbe, stirbt trotz etwa 16-maligem Hinweis, er könne nicht atmen. Der weisse Polizist, der ihn am Boden fixiert, lässt nicht locker. Sein Knie gräbt sich insgesamt 7 Minuten und 46 Sekunden in die Nackenpartie des Opfers. Es sind sich wohl alle einig, dass dieses brutale Festhalten schlicht unverhältnismässig war. Zu Recht empören sich Menschen aus aller Welt.
Doch Sie ahnen es: das Ereignis muss meiner Meinung nach trotzdem differenziert betrachtet werden. Ohne den geringsten Beweis zu Vorsatz und Motiv der Polizisten gingen innert Minuten hunderttausende von Menschen – trotz Corona-Pandemie – auf die Strasse. Woher aber will die ganze Welt wissen, ob es sich bei diesem schlimmen Ereignis tatsächlich um eine rassistische Tat handelt? Wäre es auch dann automatisch und ohne jegliche Abklärungen ein rassistisch motivierter Mord (der Definition nach eine geplante absichtliche Tötung aufgrund der Hautfarbe), wenn der Polizist schwarz und das Opfer weiss gewesen wäre? Wohl kaum. Verstehen Sie mich nicht falsch, die unverhältnismässige Aktion der amerikanischen Polizisten verurteile auch ich aufs Schärfste. Doch gleichzeitig wehre ich mich dagegen, dass mediale und politische Vorverurteilungen ohne rechtskräftiges Urteil dazu führen, dass Abertausende von Menschen durch ihre Demonstrationszüge die Gesundheit aller aufs Spiel setzen. Es kann nicht sein, dass dadurch viele linksautonome Vandalen die Gelegenheit beim Schopf packen, um Läden von Kleinunternehmern auszurauben und bewusst unschuldige Polizisten zu verletzen oder gar umzubringen. Dass Anhänger übertriebener politischer Korrektheit die so wichtige Debatte über echten Rassismus dazu missbrauchen, über «Mohrenköpfe» und «Uncle Ben’s Reis» zu diskutieren, stärkt deren Position meines Erachtens nicht unbedingt.
Geschätzte Leser, um ein Haar hätten Sie diese Kolumne nicht lesen können – oder «müssen», wie meine Kritiker wohl monieren würden. Grund hierfür ist die wirtschaftliche Situation des «Frutigländers» als Folge der Corona-Krise. Unserer Wirtschaft und damit auch etlichen Arbeitnehmenden geht es so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Und just in diesen Zeiten erlaubt sich unser Parlament in einer millionenteuren Session, den Mittelstand durch die künftige Erhebung einer Flugticketabgabe zwischen 30 und 120 Franken zu belasten. Vor wenigen Tagen beschloss der Bundesrat zudem, die Steuersätze für Benzin und Dieselöl um fast 4 Rappen pro Liter zu erhöhen. Wo bleibt hier das «Gschpüri»?
Diese Entscheide unserer Verantwortungsträger, die scheinheiligen Debatten über Fernsehsendungen, in denen angeblich zu wenig Schwarze anwesend waren, die Diskussionen über Influencer, die sich über durch «#BlackLivesMatter»- Demonstrationen verursachte Verkehrsstaus enervieren und anschliessend Werbeaufträge verlieren, Lebensmittelhändler, die «sexistische» und eigens in Auftrag gegebene Tragtaschen vernichten lassen – all das zeigt uns überdeutlich auf: Auch nach der ersten Corona-Welle geht es uns offensichtlich noch immer zu gut. Diese Wohlstandsverblödung kann von keinen Politikern gestoppt werden. Hierfür stehen wir als gesamte Gesellschaft in der Pflicht.
NILS FIECHTER
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