TRÜGERISCHER FROHSINN
Weinen kann äusserst überzeugend sein und eine grosse Wirkmacht entfalten. Oder, um ausnahmsweise mal einen Gassenhauer zu bemühen: «Tränen lügen nicht.» Wer einen Freund weinen sieht, weiss in der Regel, wie es um ihn bestellt ist.
Doch ...
TRÜGERISCHER FROHSINN
Weinen kann äusserst überzeugend sein und eine grosse Wirkmacht entfalten. Oder, um ausnahmsweise mal einen Gassenhauer zu bemühen: «Tränen lügen nicht.» Wer einen Freund weinen sieht, weiss in der Regel, wie es um ihn bestellt ist.
Doch so richtig ernst wird es erst, wenn er zu lachen beginnt. Wenn die Betrübtheit schrittweise einem irren Kichern weicht. Wenn der Leidtragende nur noch Hohn und Spott für seine Lage übrig hat.
Vor vielen Jahren habe ich die These aufgestellt, Lachen sei der Gipfel der Traurigkeit. Leider finde ich in meinem krisengeplagten Umfeld immer mehr Belege dafür. Wo kürzlich noch Zorn, Gereiztheit und Trübnis dominierten, höre ich nun einen Witz nach dem anderen. Ist das Galgen humor oder verbirgt sich dahinter eine echte Bedrohung? Tante Google erklärt mir jedenfalls, dass es Smiling Depressions gibt. Weil die Betroffenen ihre Depression quasi hinweglächeln und unterdrücken, ist diese Form der Krankheit besonders gefährlich.
Tatsächlich kann auch das Lachen selbst krankhaft sein. Wer unter einem pathologischen Lachen leidet, scheint unkontrolliert und an den unpassendsten Stellen loszuglucksen. In Wahrheit handelt es sich dabei aber nicht um ein echtes Lachen, sondern lediglich um die gleichen körperlichen Abläufe. Für die Wahrnehmung von aus sen spielt das leider keine Rolle. Wer schon einmal mitten im Unterricht oder sogar während einer Beisetzung einen unfreiwilligen Lachanfall hatte, kann sich in etwa vorstellen, was die Betroffenen dieser Krankheit durchmachen müssen.
Kein Wunder, dass Lachen nicht immer und überall einen guten Ruf genoss. In mittelalterlichen Gesellschaften soll es sogar verpönt gewesen sein. Wer lachte, galt als Narr. Für die Frau von Hofe war es tabu, ihre Gesichtszüge aus Heiterkeit zu verziehen und die Zähne zu zeigen.
Lachen ist also offenkundig nicht so erfreulich und gesund, wie immer alle sagen. Drum ein Verhaltenstipp aus meiner Heimat: «Der Westfale geht zum Lachen in den Keller.» Und ich denke, da ist er auch gut aufgehoben.
BIANCA HÜSING
B.HUESING@FRUTIGLAENDER.CH