Ein Samurai gegen den Stinker aus Zürich
07.08.2020 Wirtschaft, NaturVor wenigen Jahren wurde sie aus China eingeschleppt, inzwischen hat die Marmorierte Baumwanze nahezu die ganze Schweiz besiedelt. Nun soll ein winziger Feind den stinkenden Krabblern Paroli bieten.
MARK POLLMEIER
Dies ist die Geschichte einer Invasion, und sie ist ...
Vor wenigen Jahren wurde sie aus China eingeschleppt, inzwischen hat die Marmorierte Baumwanze nahezu die ganze Schweiz besiedelt. Nun soll ein winziger Feind den stinkenden Krabblern Paroli bieten.
MARK POLLMEIER
Dies ist die Geschichte einer Invasion, und sie ist einigermassen abenteuerlich. 1994 wurde in Zürich der Chinagarten eröffnet. Die Anlage, ein Geschenk der Zürcher Partnerstadt Kunming, enthielt auch einige chinesische Pavillons mit den typischen geschwungenen Dächern. Die Ziegel der Gebäude waren dem Schweizer Klima offenbar nicht gewachsen: Schon bald gab es die ersten Fristschäden. Den Chinesen war die Sache peinlich. 1998 schickten sie winterfesten Ersatz aus der kaiserlichen Ziegelfabrik in Peking, chinesische Gartenspezialisten nahmen in Zürich die Ausbesserungen vor.
Eingereist in Ziegelkisten
Was damals niemand ahnte: In den Holzkisten, in denen die neuen Ziegel nach Zürich kamen, reiste ein blinder Passagier mit – die Marmorierte Baumwanze. 2004 wurde der Krabbler zum ersten Mal in Zürich fotografiert, per Zufall, von einer Privatperson. Der Fundort lag nur knapp einen Kilometer vom Chinagarten entfernt. Schon drei Jahre später war die Wanze in ganz Zürich verbreitet. Inzwischen hat sie, begünstigt durch die heissen Sommer der letzten Jahre, die ganze Schweiz erobert.
Das Insekt ist den heimischen Wanzenarten durchaus ähnlich, etwa der grünen Stinkwanze. Die aus China eingeschleppte Baumwanze hat allerdings mehrere Merkmale, die sie zu einer echten Plage machen. Sie ist sehr gefrässig und richtet bei Schweizer Obstbauern mittlerweile enorme Schäden an. So gehen regelmässig 25 Prozent der Birnenernte verloren, weil die Wanze die Früchte schädigt. Hat sie ihren Saugrüssel einmal angesetzt, entstehen an Birnen und anderen Obstsorten unschöne Dellen, das Fruchtfleisch darunter wird holzig und braun.
Vermehrungsfreudig und wärmeliebend
Die zweite unschöne Eigenschaft der eingewanderten Wanze: Sie ist enorm vermehrungsfreudig. Bei günstigem Klima können so binnen kurzer Zeit grosse Populationen entstehen.
Bewohner von Schweizer Städten können ein Lied davon singen, denn die chinesische Baumwanze hat eine Methode gefunden, den kühleren Schweizer Temperaturen zu trotzen: Sie verkriecht sich ins Haus. Dort hockt sie zwischen den Fensterrahmen und in anderen Ritzen und wartet auf besseres Wetter. Schaden richtet sie in der Wohnung nicht an. Wer sie hinausbefördern oder gar töten will, macht jedoch mit ihrer Abwehrstrategie Bekanntschaft: Die Wanze verströmt einen üblen Gestank. Nicht umsonst wird sie im Volksmund «Stinkkäfer» genannt.
Die Wespe soll es richten
Vor allem die Millionenschäden in der Landwirtschaft haben die Behörden nun zu einem heiklen Schritt bewogen. Weil die chinesische Wanze von heimischen Fressfeinden allein nicht in Schach gehalten werden kann, will man sich Hilfe aus Asien holen. Eine winzige Schlupfwespenart, genannt Samurai-Wespe, soll die Vermehrung des Stinkkäfers stoppen. Die Voraussetzungen dafür sind gut: Die Samurai-Wespe legt ihre eigenen Eier bevorzugt in Eiern der chinesischen Baumwanze ab. So kommt der Stinkkäfer-Nachwuchs gar nicht erst dazu, sich weiterzuverbreiten.
Ende Juli haben das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) und das Bundesamt für Umwelt (Bafu) einen kontrollierten Freisetzungsversuch mit dem asiatischen Gegenspieler bewilligt.
Ökologen sehen solche Massnahmen kritisch. Niemand wisse, welche Folgen das Freisetzen einer weiteren, nicht heimischen Insektenart haben kann. Es sei deshalb wichtig, die Folgen vorab unter «Laborbedingungen» bestmöglich abzuklären. Die Resultate des Freisetzungsversuchs sind in einigen Wochen zu erwarten.