Nicht immer nur Sonnenschein
11.08.2020 KrattigenFlora Baumgartner musste in ihrem Leben auch dunkle Tage durchwandern, bangte einst sogar um das Leben eines ihrer zehn Grosskinder. Umso mehr geniesst die 84-Jährige jeweils die Ferien im Hotel Sunnehüsi.
HANS HEIMANN
«Nei, dä nimi nid, i muess mi ja no chli ...
Flora Baumgartner musste in ihrem Leben auch dunkle Tage durchwandern, bangte einst sogar um das Leben eines ihrer zehn Grosskinder. Umso mehr geniesst die 84-Jährige jeweils die Ferien im Hotel Sunnehüsi.
HANS HEIMANN
«Nei, dä nimi nid, i muess mi ja no chli bewege», lässt Flora Baumgartner in entschiedener Tonwahl wissen und läuft am Personenlift vorbei zur Treppe. Während sie mit sicheren Schritten die Treppe zur Bibliothek hochläuft, eine Hand am Geländer, die andere am Gehstock, erzählt die rüstige Frau aus Niederbipp, dass sie soeben das Buch eines Missionars zu Ende gelesen habe. Sie liest gerne und viel. «Wenn mich ein Buch mal so richtig gefesselt hat, dann kann ich mit Lesen einfach nicht aufhören.» Besonders hätten es ihr Geschichten aus dem Leben anderer angetan. Dabei hat sie ebenfalls ein Leben voller Geschichten – auch schmerzlicher – erlebt.
Im Hotel Sunnehüsi fühlt sich die 84-Jährige wohl und kennt sich darin gut aus. Kein Wunder, denn schon oft hat sie hier Ferien verbracht, «bestimmt neun oder zehn Mal». Ganz sicher ist sie sich nicht und hält ihren rechten Zeigfinger an den Kopf: «Mein Computer sollte mal wieder repariert werden.»
Erinnerungen an die Jugendzeit
Geboren wurde Flora Baumgartner 1936 in Neuenegg. Sie hatte eine schöne Jugendzeit: «Es war so schön, man kann es sich heute gar nicht mehr vorstellen.» An den Krieg hat sie nur vage Erinnerungen, weiss aber noch, dass ihr Vater für den Militärdienst jeweils nach Frutigen eingezogen wurde. Auf dem Hof mussten sie den Wagenschopf freimachen, um den Soldaten und deren Pferden Quartier zu bieten. «Es war interessant für uns, und manchmal erhielten wir etwas von den Speiseresten der Soldaten, denn die assen die Kost aus der Truppenküche an unserem Küchentisch.» Die Schulzeit sei halt so gewesen wie damals üblich. Der Lehrer, ein Junggeselle, war nett, aber die Lehrerin, eine Witwe, ja die stampfte schon mal mit den Füssen auf den Boden. Jugenderinnerungen werden in Flora Baumgartner wach, wenn sie vom Hotel zur nah gelegenen Linde spaziert und von dort das Treiben auf dem sich in der Nähe befindenden Bauernhof beobachtet. Ihre Eltern hatten in Neuenegg ein Heimet an einem stotzigen Bort mit viel Arbeit bewirtschaftet: «Wir waren Kleinbauern und Selbstversorger, assen jeden Tag eigene Kartoffeln.» Noch heute mag die fünffache Mutter geschwellte Kartoffeln, gelegentlich auch begleitet von Holunderbrei.
Erfreuliches und Beschwerliches
Als Mädchen trug sie die Milch der Kühe in der «Bränte» zur Käserei, welche einen Fussmarsch von 15 Minuten entfernt war. Einmal im Jahr wurde ein Schwein geschlachtet. Ein Teil der Eier ihrer rund 20 Hühner wurde in die Eiersammelstelle gebracht und mit dem Geld wiederum Einkäufe im Dorf getätigt.
Im Alter von 21 Jahren hatte Flora Baumgartner nach Niederbipp geheiratet. Ihre Stimme wird ernst, als sie von ihrer beeinträchtigten Tochter erzählt. Durch einen Unfall im Alter von viereinhalb Monaten hatte diese zehn Tage lang Hirnkrämpfe und war bewusstlos. Die Krankheit konnte nicht geheilt werden. «Sie hat später trotz ihrer Behinderung ein sehr feines Gehör entwickelt und sogar gelernt, Klavier zu spielen.» Die heute 56-jährige Tochter wohnt zu Hause, ist aber tagsüber in einer Tagesstätte.
Grosse Freude hatte Flora Baumgartner an der Geburt der Zwillinge ihrer jüngsten Tochter 1998. Dies hat ihr Mann auch noch miterlebt, welcher 2006 verstorben ist. Er war nach einem Schlaganfall acht Jahre an den Rollstuhl gebunden und ebenfalls auf ihre Hilfe angewiesen. Sie erinnert sich gerne daran, wie sie früher einmal pro Jahr gemeinsam eine Reise unternahmen, zum Beispiel an den Genfersee.
Gute Erholung in Krattigen
Eine schwierige Zeit war für Baumgartner auch, als bei einem ihrer zehn Grosskinder im Alter von dreieinhalb Jahren Leukämie festegestellt wurde. Es kam zu zwei Rückfällen, und das Kind lag neun Wochen im Spital. Mit der Hilfe von Medikamenten kann es heute ein relativ beschwerdefreies Leben führen.
Trotz der erlebten Schicksalsschläge strahlt die Frau eine positive Lebenseinstellung aus. Auf die Frage, ob sie im Rückblick auf ihr Leben etwas Verpasstes nachholen möchte, meint sie, dass sie gerne Auto fahren gelernt hätte, um damals ihre Grossmutter im Krauchthal zu besuchen. Das sei finanziell jedoch nicht dringelegen. «Aber was will man dem Vergangenen nachtrauern? Man musste einfach arbeiten, fühlte sich ein bisschen wie ein Hamster im Rad.» Man habe einfach nicht so sehr an sich selber gedacht, sei froh gewesen, wenn jeder Tag gut verlief.
Es sind nicht nur die Ruhe und die schöne Aussicht, welche Flora Baumgartner immer wieder nach Krattigen führen. «Einzig der stotzige ‹Hoger› hoch ins Dorf macht mir zu schaffen,» sagt sie. Sonst ist sie vollen Lobes über die Gastfreundlichkeit im Haus, den Garten, die Bedienung und die Kost. Es sei halt schon anders, wenn für einen gekocht werde. Die Aussicht auf erneute Ferien im Hotel Sunnehüsi mache ihr den Abschied jeweils etwas leichter. Sei sie wieder zu Hause, zehre sie von den Erinnerungen an die schönen Spaziergänge, das feine Essen und die angenehme Gemeinschaft am Tisch und im Haus.