SAVOIR-VIVRE UND NÖRGELEI
Sie haben es doch nur gut gemeint. Mit ihrer landesweit lancierten Kampagne «Wir brauchen Schweiz» wollten die Touristiker die Reisebranche ankurbeln – und damit auch gleich noch den Röstigraben auffüllen. Reger Austausch baut schliesslich ...
SAVOIR-VIVRE UND NÖRGELEI
Sie haben es doch nur gut gemeint. Mit ihrer landesweit lancierten Kampagne «Wir brauchen Schweiz» wollten die Touristiker die Reisebranche ankurbeln – und damit auch gleich noch den Röstigraben auffüllen. Reger Austausch baut schliesslich Vorurteile ab. Nun zeigt sich: das erste Ziel wurde erreicht, das zweite nicht.
Natürlich haben Westschweizer in diesem Sommer vermehrt das Berner Oberland besucht und umgekehrt. Die Romands liessen es sich etwa in Kandersteg und Adelboden gut gehen, während die Deutschschweizer fleissig Hotelzimmer im Welschland gebucht haben.
Aber genau hier liegt auch das Problem: Die Gäste im Engstlig- und Kandertal bestellten gerne mal eine teure Flasche Wein mehr und feierten ausgelassen (so meldete es der «Frutigländer»). Das jedoch passt zum Ruf der Welschen, über ihre Verhältnisse zu leben und mit ihrem Savoir-vivre anzugeben. Die Deutschschweizer wiederum bewerteten die Westschweizer Hotels schlechter, als die lokalen Gastgeber das gewohnt waren (so meldete es das Reiseportal Holidaycheck). Als Gäste entsprachen sie so genau dem Zerrbild des nüchternen Saubermanns, der am Angebot herumnörgelt. Es scheint also, als habe der Austausch nicht den Röstigraben überbrückt, sondern das Gegenteil bewirkt – die alten Rollenklischees wurden mit dem Urlaub ennet der Sprachgrenze zementiert.
Schweiz Tourismus notabene kann das egal sein. Soll der Röstigraben doch bestehen bleiben: Hartnäckige Vorurteile bringen schliesslich auch positive Effekte für die Reisebranche mit sich. Tatsächlich dürften viele Welsche die Berner Oberländer Hotels genau deswegen ausgewählt haben – sie gingen davon aus, dass die Zimmer hier sauber und die Gastgeber fleissig und verlässlich seien. Umgekehrt waren wohl viele Deutschschweizer zu den Romands gefahren, weil sie bei diesen auf eine Kultur der Offenheit, der Unbeschwertheit und des Genusses hofften.
Fazit und Anregung für die Herbstferien: Vielleicht besuchen wir die anderen, weil wir sie für besser halten, als sie sind. Ganz sicher aber sollten wir uns dort nicht schlechter benehmen als die Person, für die wir gerne gehalten würden.
BENJAMIN HALTMEIER
B.HALTMEIER@FRUTIGLAENDER.CH