Surfen in 15 Metern Höhe
11.08.2020 FrutigenSeit zwei Monaten ist der Kletterturm im Frutigresort geöffnet. Wie man sich als unerfahrener Bergsteiger in den Seilen zurechtfindet und was für Hindernisse einem in der Höhe begegnen, zeigt ein Selbstversuch.
JULIAN ZAHND
Mein Verhältnis zur Höhenangst ist ...
Seit zwei Monaten ist der Kletterturm im Frutigresort geöffnet. Wie man sich als unerfahrener Bergsteiger in den Seilen zurechtfindet und was für Hindernisse einem in der Höhe begegnen, zeigt ein Selbstversuch.
JULIAN ZAHND
Mein Verhältnis zur Höhenangst ist kompliziert. Weder fühle ich mich von ihr befallen noch ist sie mir völlig fremd. Der diffuse Schwindel meldet sich sehr selten, dafür aber umso unverhoffter. Und natürlich immer zu spät, um noch einen halbwegs vernünftigen Ausweg zu finden. Ob das günstige Voraussetzungen für eine Besteigung des Frutiger Kletterturms sind, muss sich an diesem sonnigen Donnerstagnachmittag erst noch weisen. Von unten zumindest sieht das wirre Geflecht aus Seilen und Stangen ziemlich harmlos aus. Es gleicht einem abgehobenen Spielplatz, das Ganze riecht eher nach Spass als nach Schweiss. Dass ich in solchen Situationen ab und zu zum Übermut neige, habe ich in diesem Moment natürlich vergessen.
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Die Schweiz ist ein vorsichtiges Land, vieles wird hier behutsam angegangen. Sobald es aber in die Höhe geht, dominiert meist das Selbstbewusstsein. Eigenverantwortung lautet dann meist die Devise – sei dies auf Alpinwanderwegen oder auf Klettersteigen. Ein bisschen Bergler-Gen, so scheint es, wird in diesem Land jedem attestiert. So steht auch beim Kletterturm in Frutigen das individuelle Erleben im Vordergrund, von vorsorglichem Aktivismus der Betreiber ist wenig zu spüren. Jürg Klötzli hat soeben die Sicherungsgurte zurechtgelegt. Der Frutiger hat heute Turmaufsicht und ist auch verantwortlich für die Instruktion. Viele Worte verliert er dabei nicht, die Sätze sind aber eingängig: «Wenn ihr euch zu Beginn richtig einklinkt, dann habt ihr schon sehr viel richtig gemacht.» Tatsächlich scheint das Sicherungssystem unbestechlich. Kletterer sind mit zwei Karabinerhaken an fixen Griffen oder Drahtseilen eingeklinkt. Da sich nicht beide Karabiner gleichzeitig öffnen lassen, ist der Halt jederzeit gewährleistet. Seit dem 6. Juni ist der Turm geöffnet, Unfälle habe es seither keine gegeben, so Klötzli.
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Nachdem ich mich mit dem Klicksystem vertraut gemacht habe, geht es ein paar Stufen hoch zu Level 1. Insgesamt verfügt der Turm über drei Stockwerke in der Höhe von zirka 3, 10 und 15 Metern. Von Plattformen aus gilt es, verschiedene Hindernisse zu überwinden. Dabei gibt es unterschiedliche Schwierigkeitsgrade:
blau = leicht, rot = mittel, schwarz = schwierig.
Viel Klettern muss man zunächst nicht, beim Vorwärtskommen auf den Seilen und Holzscheiten ist vor allem Balance gefragt. Das aber nicht zu knapp: Auf dem beweglichen Schwebebalken bin ich ein erstes Mal froh um die Sicherung. Ein elastischer Körper ist zudem grundsätzlich von Vorteil: Wer kein Mindestmass an Beweglichkeit mitbringt, dürfte beim Durchsteigen des Fensters einer alten Gondel wohl scheitern. Mit zunehmender Höhe werden die Hindernisse trickreicher. Mal muss man sich auf einem Skilift von Tellerli zu Tellerli schwingen, mal weisen Klettergriffe an glatten Wänden den Weg. Gleichgewicht allein reicht nun definitiv nicht mehr aus, mangelnde Technik wird mit Kraft kompensiert. Die Quittung dafür werde ich später noch erhalten.
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Bis zu 80 Personen können den Kletterturm gleichzeitig besteigen, sagt Christof Kaufmann, Mitarbeiter des Frutigresorts, das unter anderem den Kletterturm betreibt (siehe Kasten). Noch sei die Kapazitätsgrenze nicht erreicht, zurzeit werde der Turm täglich von zirka 30 bis 60 Personen besucht, rund die Hälfte davon kommt vom benachbarten Camping. Mit den Zahlen sei man zufrieden. Sobald das Pfadigeschäft in Kandersteg wieder anläuft, erhofft sich Kaufmann aber noch eine Steigerung der Besucherzahlen.
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So weit ist es aber noch nicht, im Laufe des Nachmittags sind auf dem Kletterturm gut zehn Personen gleichzeitig unterwegs. Die Gesellschaft kommt mir bald schon zu Gute. Mittlerweile befinde ich mich auf einem beweglichen Surfbrett auf 15 Metern Höhe – und stecke fest. Der Schwung hat nicht ausgereicht, um den Weg auf der Drahtschiene ganz zurückzulegen, ich bin somit auf halber Strecke stehen geblieben. Dank gütiger Mithilfe einer jugendlichen Kletterin erreiche ich die rettende Plattform doch noch. Zum Schluss stehe ich vor einer Strickleiter, die sich waagrecht über meinen Kopf spannt. Die nächsten Meter soll ich mich also vorwärtshangeln. Plötzlich macht sich der Kraftverschleiss der vorangegangenen 90 Minuten bemerkbar. Selbst mein Optimismus scheint plötzlich erschöpft, sodass ich anstelle der schwarzem Route die rot markierte Slackline wähle. Solange man sich auf einer Plattform befindet, hat man glücklicherweise Alternativen. Doch was, wenn man unterwegs in eine Sackgasse gerät? «Da gibt es zwei Möglichkeiten», sagt Kaufmann. «Meist helfen wir den Kletterern durch den Parcours. Wenn es gar nicht weiter geht, müssen wir sie ausklinken und abseilen.» Ziel sei es, eine Person innerhalb von sieben Minuten nach Erkennen des Problems am Boden zu haben. «Doch auch diesen Vorgang übten wir bislang nur in simulierten Situationen», so Kaufmann.
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Auch ich erreiche den Boden letztlich ohne Zwischenfall, dafür mit gewissem Stolz. Denn die Höhenangst machte sich während der ganzen Zeit kaum bemerkbar. Die Erklärung dafür ist allerdings etwas weniger heldenhaft: Meine Geschicklichkeit war auf dem Kletterturm derart gefordert, dass für alles andere schlicht kein Platz blieb.
Weitere Informationen zum Kletterturm finden Sie in unserer Web-Link-Übersicht unter www.frutiglaender.ch/web-links.html
Frutigresort: Saison mit Hindernissen
Der Kletterturm stand einst auf dem Sillerenbühl, ist mittlerweile aber Teil des Frutigresorts. Zum Angebot gehören unter anderem auch der Campingplatz und das Frutighus. Letzteres wird derzeit teilsaniert und ist auch daher nur spärlich belegt. Die Campingsaison sei aber angesichts der Situation zufriedenstellend, wie Christof Kaufmann, Mitarbeiter des Frutigresorts, sagt. Zumindest während der Ferien sei das Angebot praktisch ausgebucht gewesen. Auf dem Gelände befindet sich zudem das Frei- und Hallenbad. Dieses wird zwar nicht vom Frutigresort betrieben, ist jedoch ein wichtiger Bestandteil des Gesamtkonzepts, das sich primär an Familien und Gruppen richtet. «Die verkürzte Saison wegen Covid ist das Eine. Hinzu kommt nun die renovationsbedingte mehrmonatige Schliessung des Hallenbads im Herbst. Unser Angebot verliert dadurch an Attraktivität, weshalb es zurzeit viele Stornierungen gibt. Das ist natürlich schmerzhaft», sagt Kaufmann.
JUZ