Meinungen zur Volksabstimmung über das geänderte Jagdgesetz
15.09.2020 LeserbriefDas Wald-Wild-Problem
Ohne intakte Schutzwälder im Berggebiet sind viele Siedlungen samt den notwendigen Infrastrukturen (Bahnen, Strassen, Leitungen etc.) durch Naturgefahren bedroht. Wälder unterliegen Alterungsprozessen, sie werden instabiler und müssen deshalb ...
Das Wald-Wild-Problem
Ohne intakte Schutzwälder im Berggebiet sind viele Siedlungen samt den notwendigen Infrastrukturen (Bahnen, Strassen, Leitungen etc.) durch Naturgefahren bedroht. Wälder unterliegen Alterungsprozessen, sie werden instabiler und müssen deshalb gezielt verjüngt werden. Unsere Schutzwälder lassen sich auf natürliche Art und ohne teure Massnahmen nur verjüngen, wenn Reh- und Hirschbestände reguliert werden.
Seit Jahrzehnten ist das Wald-Wild-Problem ein Kernthema unter Waldbesitzern und Forstleuten. In den Medien erfährt man nur von Rissen und Schäden an Nutz- und Wildtieren, aber von verborgenen und schleichenden Schäden an Keimlingen und Jungpflanzen im Wald erfährt die Leserschaft nichts. Im Gegenteil: Oft wird argumentiert, die Waldfläche nehme ja zu, da könne es doch gar keine Wildschäden im Wald geben. Dies ist ein Trugschluss, weil die Zunahme der Waldfläche allein durch den Einwuchs von aufgegebenen Landwirtschaftsgebieten erfolgt (zum Beispiel in den Tessiner Tälern), und sich dort verbissresistente Baumarten ansiedeln – im Gegensatz zu unseren Wäldern, die seit Generationen bestehen. Das Baumartenspektrum hat sich hier entsprechend den natürlichen Voraussetzungen ohne grossen Wildeinfluss entwickeln können, und eine erfolgreiche naturnahe Waldbewirtschaftung muss diese Gegebenheiten berücksichtigen. Mit jagdlichen Massnahmen allein können heute die Wildbestände nicht mehr im nötigen Ausmass reguliert werden, um die nachhaltig erforderlichen Jungwuchsflächen in den Wäldern ohne Schutzmassnahmen zu verwirklichen – wie dies im eidgenössischen Waldgesetz grundsätzlich festgelegt ist.
Luchs und Wolf sind für die nötige Reduktion der Wildbestände unentbehrlich. Ein neues Jagdgesetz wird in den Wäldern nichts verbessern. Durch die möglichen präventiven Abschüsse von Luchs und Wolf kann das Wildschadenproblem in den Schutzwäldern nicht gelöst, sondern viel eher verschärft werden.
ULRICH VOGT, FRUTIGEN
Ja zum Jagdgesetz
Das vorliegende Jagdgesetz ist nicht, wie die Gegner immer wieder betonen, ein Abschussgesetz. Heute leben 100 Wölfe in der Schweiz. Der Wolf hat keinen natürlichen Feind. Letzthin berechnete die NZZ, dass in 10 Jahren über 600 Wölfe in der Schweiz leben werden.
Beim Wildbestand – ob dies nun Gämsen, Rehe, Hirsche, Steinböcke oder andere Tiere sind – wird eine unerwünschte Überpopulation durch die Jäger reguliert. Dies soll künftig auch beim Wolf möglich sein. Von einem Ausrotten kann keine Rede sein. Herdenschutz hat seine Grenzen. Ich lade alle Gegner des Jagdgesetzes ein, unsere hochgelegenen Schafalpen zu besuchen. Dort werden sie sehen, dass Herdenschutz in vielen Gebieten nicht möglich beziehungsweise wirkungslos ist. Übrigens: Die Hälfte der Wolfsübergriffe in diesem Jahr im Kanton Graubünden erfolgte in geschützten Herden.
Es darf doch nicht sein, dass die Städterinnen und Städter der ländlichen Bevölkerung ihre Sicht der Dinge aufzwingen. Die Realität sieht ganz anders aus. Deshalb ein überzeugtes Ja zum revidierten Jagdgesetz.
CHRISTOPH BERGER, AESCHI
Mehr als Regulierung des geschützen Wildes
Am 27. September stimmen wir unter anderem über das revidierte Jagdgesetz ab. Klar ist, dass der Wolf seine Gegner und seine Befürworter provoziert. In den letzten Jahren hat sich der Wolfsbestand in der Schweiz rasant entwickelt, und dies erschwert vor allem auch die Bewirtschaftung vieler Alpen. Direktbetroffene Älpler und Tierhalter müssen sich überlegen, ob die Bewirtschaftung der Alp noch möglich ist, und werden mit aufwendigen Schutzmassnahmen und Verlusten konfrontiert. Werden Alpweiden nicht mehr abgeweidet, gepflegt und bewirtschaftet, sind Verbuschung und Rückgang der Biodiversität die Folge. Die revidierte Vorlage beinhaltet jedoch weit mehr als nur die Regulierung des geschützten Wildes. Mit der Schaffung von Wildtierkorridoren werden neue Schutzzonen geschaffen, es gibt neu zwölf Wildenten arten, die geschützt sind, und die Schonzeit der Waldschnepfe wurde verlängert. Anstelle des Bundesrates kann das Parlament in Zukunft eine Tierart als geschützt erklären, und den Kantonen wird zur Regulierung der Bestände mehr Kompetenz zugesprochen, da sie ja die Situation im Gebiet am besten kennen. Dies sind gute Gründe, um mit Überzeugung Ja zu sagen zum revidierten Jagdgesetz für mehr Sicherheit für Mensch, Tier und Natur.
ANDREAS GAFNER, NATIONALRAT EDU, OBERWIL
ERICH VON SIEBENTHAL, NATIONALRAT SVP, GSTAAD
«Ohne bessere Regulierung verschwindet die Alpwirtschaft»
STELLUNGNAHME Jährlich verbringen rund 700 000 Tiere den Sommer auf der Alp. Aufgrund der exponentiellen Ausbreitung der Wölfe hat sich gemäss des Schweizerischen Alpwirtschaftlichen Verbandes (SAV) im Jahr 2020 die Situation «enorm zugespitzt»: Von vielen Alpen hätten die Tiere wegen der vielen Risse vorzeitig ins Tal getrieben werden müssen. Die finanziellen Verluste aufgrund der gerissenen Tiere seien betriebswirtschaftlich für die Alp nicht die relevantesten Punkte. Drei Gründe würden bei starkem Wolfsdruck zur Aufgabe von Alpen führen:
• der Herdenschutz ist nicht umsetzbar oder wirtschaftlich nicht tragbar;
• die psychische Belastung der Älpler ist zu hoch;
• die Tierbesitzer verzichten auf eine Alpung.
Die Revision des Jagdgesetzes, über welches am 27. September abgestimmt wird, gibt gemäss SAV die Möglichkeit, «massvoll und kontrolliert» in die exponentiell ansteigende Kurve des Wolfsbestandes einzugreifen. Eine Ausrottung sei mit diesem Gesetz nicht vorgesehen oder möglich. Werde die Revision des Jagdgesetzes abgelehnt, so müsse mit einem dramatischen Rückgang der Sömmerung gerechnet werden. Ohne kontrollierte Regulierung gehe «die wohl naturnahste und traditionellste Produktionsart der Schweiz verloren: die Alpwirtschaft», schreibt der SAV in einer Medienmitteilung. Der Verband empfiehlt deshalb, am 27. September ein Ja in die Urne zu legen.
PRESSEDIENST SCHWEIZERISCHER ALPWIRTSCHAFTLICHER VERBAND (SAV)