KOLUMNE – HAUSGEMACHT - Kaltes Buffet
16.10.2020 KolumneKaltes Buffet
Es ist noch kein Jahr her, da galten die Erdnüsschen im Schälchen, die an der Bar zum Aperitif gereicht wurden, noch als nette Geste. Natürlich wussten wir, dass da eventuell auch jemand zugreifen kann, der seine Hände nach dem letzten Toilettengang nicht ...
Kaltes Buffet
Es ist noch kein Jahr her, da galten die Erdnüsschen im Schälchen, die an der Bar zum Aperitif gereicht wurden, noch als nette Geste. Natürlich wussten wir, dass da eventuell auch jemand zugreifen kann, der seine Hände nach dem letzten Toilettengang nicht gewaschen hat.
Wir wussten, dass in den Medien besprochen wurde, wie viel Urinspuren an den Chips oder an den Gemüsestängeln haften können, die in der grossen Runde herrumgereicht wurden. Trotzdem griffen wir zu.
Besonders erfreut waren wir, wenn im Schälchen mit den Knabbereien noch ein Löffel steckte. Sauber, dachten wir hochachtungsvoll. Keiner überlegte sich, ob sich die Person, die den Löffel vor uns in der Hand hielt, wohl seine Hände desinfiziert hat.
Wir erfreuten uns an den grossen Selbstbedienungsbuffets. Da schnitten wir uns Käse und Brot ab, langten bei der Fleischplatte zu, eine Perlzwiebel steckten wir uns gleich direkt in den Mund. Wir plauderten beim Anstehen, schielten auf den Teller des Nachbarn, um zu entdecken, was einem von den vielen Leckereien durch die Lappen gegangen ist. Haben wir dabei je daran gedacht, welche Spuren, Sporen, Viren oder Bakterien daran haften? Höchst selten, oder?
Heute sind wir Viren-Experten. Wir erkennen jede Gefahr und wehren uns mit Masken, Desinfektionsmittel und Abstand. Wir lassen uns von der Regierung und den unzähligen Epidemiologen von der ersten zur zweiten Welle begleiten. Dabei werden wir mit Informationen überflutet und finden zu jeder These eine Antithese. Und über allem stehen die Schutzkonzepte.
Deshalb stehen die Desinfektionsflaschen als Wächter auch beim Start zum kalten Buffet. Durch Plexiglasbauten sehen wir nun die Platten und Schüsseln, und nettes Personal fragt, was wir denn gerne hätten. Das gegenseitige Anlächeln können wir hinter der Maske bloss erahnen. So sauber war unser Essen wahrscheinlich noch nie. Keine Kontamination durch den Gast vor mir in der Reihe, keine Spuren von irgendjemandem.
Zugunsten der Sicherheit, zugunsten der Gesundheit, zugunsten der Gesellschaft und zugunsten unseres gesamten Gesundheitssystems nehmen wir vieles in Kauf und hoffen einfach nur, dass es sich lohnt.
Denn an all die Massnahmen möchte man sich nicht gewöhnen – wenigstens möchte ich das nicht. Dass jetzt alles reiner und hygienischer ist und wir keine Nüsschen mit Urinspuren mehr essen müssen, ist ein kleiner Trost.
Irgendwann möchte ich wieder einmal an grossen Tischen mit ganz vielen Leuten sitzen, möchte sie zur Begrüssung umarmen, möchte mit ihnen unbeschwert lachen und schwatzen, gemeinsam essen und trinken. Möchte keinen Gedanken daran verschwenden, ob jemand ansteckend sein könnte, wenn er neben mir niest oder hustet. Möchte mit Leuten am kalten Buffet anstehen, voller Freude zulangen und das Brot von Hand reichen, wenn jemand darum bittet.
Dass es irgendwann einmal wieder so sein wird, daran glaube ich und lächle weiterhin tapfer durch meine Maske.
BARBARA JOST
BAEBU.JOST@BLUEWIN.CH