Letzter Prozesstag: Verteidiger verlangt Freispruch und Entschädigung
09.10.2020 FrutigenPETER SCHIBLI
Im seinem «letzten Wort» wies der Beschuldigte zum Abschluss des fünftägigen, gut 30-stündigen Strafverfahrens am Freitagnachmittag die Anklagepunkte noch einmal zurück und versicherte, seine Freundin habe am 15. Februar 2018, als er von ihr wegfuhr, noch gelebt. Auch er trauere um seine verstorbene Partnerin und denke jeden Tag an sie.
Strategie der Verteidigung
Nach der Staatsanwältin am Donnerstag war am Freitag der Verteidiger des Beschuldigten zu Wort gekommen. Er bestritt, dass der 57jährige Geschäftsmann für den Tod seiner Freundin (41) und für die Brandstiftung an der Reichenmattstrasse 15 in Frutigen verantwortlich sei. Die Strategie des Anwalts lief darauf hinaus, sämtliche von der Anklage am Vortag genannten Indizien in Zweifel zu ziehen und Entlastungshypothesen zu präsentieren.
Er betonte, dass es keine direkten Beweise für ein Verschulden seines Mandaten gebe, weder in den vielen Gutachten, noch in den Zeugenaussagen oder sonstigen Beweismitteln. Der Beschuldigte bestreite weiterhin vehement, die ihm vorgeworfenen Taten im Februar 2018 begangen zu haben. Aus den von der Staatsanwältin vorgelegten Indizien zog der Verteidiger andere, zum Teil gegenteilige Schlüsse.
Drogen als Todesursache?
Laut seiner Hypothese starb das Opfer an einer sehr starken Mischung aus Kokain, Schmerzmitteln und Alkohol oder an den Folgen eineS Sturzes. Einen Schlag auf den Kopf der Frau durch seinen Mandanten habe es nie gegeben; ein solcher könne auch nicht zum Tod geführt haben. Dies ergebe sich aus den Gutachten und Aussagen der Sachverständigen. Viel mehr sei bekannt gewesen, dass die Freundin seines Mandanten starke Drogen, Schmerzmittel sowie Alkohol konsumiert habe. Nicht bestritten wurde, dass auch der Angeklagte selber ein gravierendes Alkoholproblem hatte und gelegentlich Drogen konsumierte.
Auch zur Brandursache präsentierte der Verteidiger eine eigene Hypothese: Die verstorbene Frau habe regelmässig einen «Feierabend-Joint» (Cannabis) geraucht. Dies sei auch am 15. Februar 2018 der Fall gewesen. Aufgrund anderer Rauschmittel sei es ihr schlecht geworden, eventuell sei sie sogar in Ohnmacht gefallen. In diesem Zustand sei ihr der Joint aus der Hand aufs Bett oder aufs Sofa gefallen und habe den nachfolgenden Grossbrand ausgelöst. Beweise für eine Brandstiftung seines Mandanten lägen keine vor, argumentierte der Jurist.
Panik vor erneuter Intervention durch die KESB
Die überstürzte Flucht des Beschuldigten nach Frankreich unmittelbar nach Ausbruch des Brandes in Frutigen erklärte sein Verteidiger mit der «panischen Angst» seines Klienten, dass ihm die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) wieder freiheitsbeschränkende Massnahmen auferlegen würde, was er bereits einmal erlebt hatte. Die Flucht sei ohne vorgängigen Plan erfolgt. Seiner Freundin habe er im Moment des Brandausbruchs nicht helfen können, da er zu diesem Zeitpunkt gar nicht am Brandort war.
Mit Hilfe der Borddaten des Fahrzeugs des Beschuldigten versuchte der Verteidiger die von der Staatsanwältin vorgelegten Bewegungsprofile und behaupteten Aufenthaltsorte des Angeklagten am Tag des Brandes zu widerlegen. Ebenso zog er die Schlussfolgerungen der Anklägerin aus den Handydaten der involvierten Personen in Zweifel. Diese Handydaten und deren Auswertung stellten keine eindeutigen Beweismittel dar, die zusammen mit anderen Indizien in der Gesamtbetrachtung vom Kollegialgericht als Beweise für eine Schuld seines Mandanten gewertet werden dürften.
Replik und Dublik
In ihrer Replik betonte die Staatsanwältin, die Verzögerungen während den Ermittlungen könnten nicht den Untersuchungsbehörden angelastet werden. Diese habe die Verteidigung zu verantworten, die durch immer neue Beweisanträge das Verfahren und damit die Untersuchungshaft verlängert habe. Dies sei auch durch Urteile des Obergerichts und des Bundesgerichts im Rahmen des Zwangsmassnahmenverfahrens mehrfach bestätigt worden.
In seiner Replik stellte der Rechtsvertreter der Privatkläger mit Bedauern fest, dass es nach diesem Strafverfahren nur Verlierer gebe: die Familie des Opfers, die Familie des Täters und die Bevölkerung der Gemeinde Frutigen, letztere, weil die andauernde Beschäftigung mit dem Verbrechen immer von neuem offene Wunden aufreisse und wichtige Fragen unbeantwortet blieben.
Das Urteil wird am Freitag, 16. Oktober, verkündet. Der Frutigländer wird darüber berichten.