Zweiter Prozesstag: Verteidiger befragt Gutachter

  06.10.2020 Frutigen

PETER SCHIBLI

Am Morgen des zweiten Prozesstags im Frutiger Brandfall wurde der Sachverständige des Instituts für Rechtsmedizin Bern (RMI) befragt. Er war bei der Obduktion des stark verbrannten, nur noch 26 Kilo wiegenden Frauenkörpers im Februar 2018 persönlich anwesend. Die Interpretation der diversen Gutachten ist für die Entscheidfindung des Kollegialgerichts in diesem Fall zentral.

Für das in den oberen Atemwegen (Luftröhre) gefundende Blut konnte der Berner Experte trotz aufwändiger Analyse keinen Grund nennen. Dass das Blut aus der Lunge stammte, wie dies in einem Hamburger Privatgutachten behauptet wird, konnte der Berner Experte nicht bestätigen. Durch einen massiven Schlag auf den Kopf erlöschten Schutzreflexe, und es sei für ihn denkbar, dass Fremdmaterial, zum Beispiel Blut, in die oberen Atemwege gelangt sei. Die Anklage macht geltend, die Freundin des Beschuldigten sei durch einen starken Schlag auf den Kopf getötet worden.

Das vom RMI abweichende Privatgutachten war von der Verteidigung bestellt worden und ist nun Bestandteil der Gerichtsakten. Der Hamburger Rechtsmediziner wurde kurzfristig nach Thun aufgeboten.

Während Staatsanwaltschaft und Privatkläger keine wesentlichen Fragen einbrachten, befragte am Nachmittag der Verteidiger des Beschuldigten den Berner Sachverständigen während Stunden. Der RMI-Gutachter gab zu Protokoll, dass es sich bei den festgestellten Spuren grossmehrheitlich um gekochtes Blut und nur zu einem geringen Anteil um Mageninhalt handelte. Die Blutmenge sei ausserdem zu gross gewesen, als dass es sich nur um Nasenblut handeln konnte. Als Ursache des Bluts in der Luftröhre hielt Prof. Christian Schyma vom RMI einen Schlag auf den Kopf des Opfers für möglich.

Die Verteidigung vertrat demgegenüber die These, dass der Anteil an Magenflüssigkeit grösser war als vom RMI festgestellt wurde. Laut Erfahrung des Hamburger Zweit-Gutachters Prof. Klaus Püschel deutet Magenflüssigkeit in der Speiseröhre auf eine Vergiftung durch Drogen, Medikamente und Alkohol hin. Püschels Privatgutachten wurde vom Gericht als Beweismittel inzwischen zugelassen. Professor Püschel soll aber nach dem Willen des Gerichts nicht als Sachverständiger angehört werden (Stand Dienstag 16 Uhr).

Indirekt aber wirkte der Hamburger Professor am Dienstag dennoch als Sachverständiger. Auf Wunsch von Verteidiger Gerrit Straub reiste der Gerichtsmediziner nach Thun und nahm  kurz vor Mittag auf der Verteidigerbank Platz. Dort beriet er den Anwalt des Beschuldigten und stellte seinem Berner Kollegen via den Verteidiger sogar Fragen. - Eine vor Berner Gerichten höchst ungewöhnliche Situation.

Zum Abschluss des zweiten Prozesstages lehnte das Kollegialgericht dann zwei Anträge des Verteidigers ab, der eine erneute Analyse des Materials aus der Luftröhre des Opfers durch mikroskopische und radiologische Methoden verlangte. Das Gericht vertrat die Meinung, dadurch sei kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn zu erwarten.

Über das Strafverfahren in Thun berichtet der «Frutigländer» auch am Mittwoch online. Einen zusammenfassenden Bericht lesen Sie in der Freitagausgabe.

 


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