«Ich spüre jede Unsicherheit des Gastes»
13.11.2020 PorträtChristian Schranz durfte im Herbst sein Diplom als Bergführer entgegennehmen und wurde bereits in den Bergführerverein Adelboden aufgenommen. Im Leben und im Beruf weiss er, wo es langgeht.
YVONNE SCHMOKER
Vor drei Jahren hat der Adelbodner Christian Schranz seine ...
Christian Schranz durfte im Herbst sein Diplom als Bergführer entgegennehmen und wurde bereits in den Bergführerverein Adelboden aufgenommen. Im Leben und im Beruf weiss er, wo es langgeht.
YVONNE SCHMOKER
Vor drei Jahren hat der Adelbodner Christian Schranz seine Ausbildung zum Bergführer mit 45 Bergbegeisterten begonnen. Nur 27 Teilnehmer, darunter drei Frauen, konnten mit ihm am 17. September in Verbier am letzten Tag des zweiwöchigen, strengen Führerkurses ihr eidgenössisches Bergführerdiplom entgegennehmen. «Ich habe den Schritt in den Bergführerberuf gewagt und nach einer strengen und anspruchsvollen Ausbildung beim Schweizerischen Bergführerverband SBV die Tür zu einer verantwortungsvollen und interessanten Tätigkeit geöffnet», blickt der 27-Jährige zufrieden in seine Zukunft.
Wie alles begann
Seit seiner Geburt lebt Christian Schranz mitten in den Bergen. Der Blick aus dem Fenster seines Elternhauses in Adelboden gleitet vom Elsighorn über Bonderspitz, Lohner und Steghorn zum Wildstrubel. Sein Vater übt nebst der Arbeit als Kirchensigrist auch den Beruf des Bergführers aus. «Viele Kindheitserinnerungen spielen sich in den Bergen ab, sei es beim Skifahren, Wandern, Klettern oder auch mal bei der Besteigung eines hohen Berges mit den Eltern und zwei Brüdern», erinnert sich Schranz an seine Anfänge im Bergsport. «Später habe ich in unserer SAC Sektion Wildstrubel an JO-Touren teilgenommen und mich sogar zum Jugend- und Sport-Leiter ausbilden lassen. Dabei habe ich unseren damaligen JO-Chef und Bergführer Manfred Inniger immer mehr bewundert und beobachtet, wie er mit grossem Wissen, Können und Begeisterung die Jugendlichen sicher durch die Berge führte und sie für den Bergsport gewinnen konnte.»
Ausbildung zum Bergführer
Bergführer sind in allen Naturräumen unterwegs, besonders in ungesicherten, wo sie mit grosser physischer und psychischer Stärke mit einem ausgeprägten Verantwortungsbewusstsein ihre Gäste unter grossen Sicherheitsvorkehrungen hinführen. Ihre Wege sind selten im Gelände oder auf einer Landkarte markiert. Durch beachtliches Wissen und Erfahrung führen sie Bergsteiger über Grate, Felszacken oder Gletscherabbrüche zu den hohen Gipfeln, durch Klettersteige und tiefe Canyons oder im Winter auf Ski oder Schneeschuhen durch die tief verschneiten Berge.
In einem Sommer- und Wintervorkurs des SBV erhielt Christian Schranz Einblick in diesen anspruchsvollen Beruf. «Ein ausführliches Verzeichnis meiner Touren musste ich mit dem Bewerbungsschreiben um Aufnahme zum Eintrittstest abliefern, der uns eine Standortbestimmung zum kommenden Aspirantenkurs vermittelte. So erfuhr ich, wo noch Verbesserungspotenzial lag», beschreibt der Adelbodner seine ersten Kontakte mit der Bergführerausbildung. «Da wurde mir auch zum ersten Mal richtig bewusst, welche Verantwortung ich für meine Gäste dereinst tragen werde und dass die Bergtouren nicht mehr meiner Selbstverwirklichung dienen, sondern ganz alleine dazu, den Gast sicher auf den Gipfel zu führen und ihn abends glücklich und gesund ins Tal zurückzubringen.»
Die Ausbildung erstreckte sich über drei Jahre, wobei die modulare Ausbildung Themen wie Lawinen, Skitechnik, Steileis, Medizin, Material und Sturzmechanik, Sportklettern, Sommertouren, Kommunikation und Betriebsführung beinhaltete. «Danach durfte ich als Aspirant mit vielen einheimischen Bergführern auf Bergtouren das Erlernte mit Gästen anwenden», erzählt der frischgebackene Bergführer. Im vergangenen Frühjahr musste der Winterkurs des SBV wegen Covid-19 um zwei Wochen verschoben werden. «Bei besten Skitourenverhältnissen mussten wir zu Hause sitzen, konnten nur die wenigsten Wintertouren mit Gästen durchführen. Im Sommer durften wir glücklicherweise wieder Gäste in die Berge führen. So war ich gut vorbereitet für den abschliessenden Sommerkurs im September, den wir in den Dolomiten und im Wallis absolvierten und mit zwei Prüfungstagen beendeten», berichtet er erleichtert.
Zukunftsträume
Mit 27 Jahren kann Christian Schranz bereits auf vier erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildungen als Schreiner, Maurer, Schneesportlehrer und Bergführer blicken und so in eine vielfältige Zukunft starten. «Ich freue mich, meine Gäste sicher in die Berge zu führen, sei es am kurzen Seil im steilen Gehgelände, dann wieder am langen über den spaltenreichen Gletscher; mal mit den Ski durch verschneite Hänge oder auch mal im steilen Fels oder Steileis, oft verbunden durch ein Seil, das mich wie eine Nabelschnur mit meinen Gästen verbindet. Durch das Seil in meiner Hand spüre ich jeden Schritt meines Gastes, auch jede Unsicherheit, der ich sogleich entgegenwirken kann, bevor es zu einem Sturz kommt.»
In der Zwischensaison möchte er weiter handwerklich unterwegs sein, gerade dort, wo Arbeit auf ihn wartet. Der Januar steht seit drei Jahren ganz im Zeichen der Skirennen am Chuenisbärgli, wo Schranz in der Pistenzubereitung mit dem Wasserbalken unterwegs ist, Podeste fürs Fernsehen montiert, Sturznetze installiert, an den Renntagen Stangen und Piste überwacht und auch beim Abräumen tätig ist. «Wie es aussieht, wird in diesem Jahr eine ‹Ghost Edition› stattfinden, ganz ohne Zuschauer», freut sich Christian Schranz trotz Covid-19 auf seine Arbeit.
In der Skischule Adelboden wird er unterrichten, um dann in die Skitourensaison einzusteigen. Er freue sich auf die Arbeit bei der Alpinschule Adelboden Kandersteg, aber auch auf Privattouren, die er selber planen und organisieren dürfe. «Am Anfang werden mir sicher die Kalkulation und die Rechnungsstellung am meisten Mühe bereiten, bin ich doch eher der Praktiker als der Schreibtischtäter», meint er schmunzelnd.
Mut als ständiger Begleiter
Bereits im Oktober wurde Christian mit grossem Applaus in den Bergführerverein Adelboden aufgenommen. Der Präsident Samuel Lauber gab ihm folgende Worte mit auf seinen steinigen Weg: «Hab Mut, dann umzukehren, wenn es Zeit ist, Mut, eine neue Spur zu machen, Mut, unpopuläre Entscheidungen zu treffen und Mut, Fehler einzugestehen.» Zufrieden über den Bergführernachwuchs zeigte sich auch der Präsident. Da im vergangenen Frühling wegen Covid- 19 der Winterkurs 1 abgesagt werden musste, können erst im kommenden März zwei neue Aspiranten, Adrian Büschlen und Dani Wyss, den Aspirantenausweis erlangen. Die Alpinschule und der Bergführerverein sind stolz, dass immer wieder junge einheimische Bergführer ihre Vereine vor einer Überalterung schützen, wie es vielerorts der Fall ist.
Eine geschützte Berufsbezeichnung
Seit 2002 schliesst der Bergführer mit einem eidgenössisch anerkannten Diplom, einem Fachausweis, seine dreijährige Ausbildung ab. «Bergführer sind professionelle Leiter von Berg-, Kletter-, Trekking-, Ski- oder Snowboardtouren und vermitteln ihren Gästen intensive Berg- und Naturerlebnisse», definiert der SBV sein Berufsprofil. Bei den Touren steht der Sicherheitsaspekt im Vordergrund; eine hohe theoretische und praktische Kompetenz, grosse physische und psychische Belastbarkeit sind ebenso erforderlich wie auch Menschenkenntnisse und Kontaktfreudigkeit.
Bereits der Eintritt in die Bergführerausbildung stellt hohe Anforderungen. Ein umfassendes Dossier mit anspruchsvollen Touren muss nachgewiesen werden, bevor man ab dem 19. Altersjahr die Ausbildung beginnen kann. Zum Erlangen des Aspirantenstatus müssen Module wie Lawinen, Winter, Steileis, Gebirgsmedizin / Rettung, Sportklettern und Sommer bestanden sein. In den folgenden Monaten führt der Aspirant 40 Pflichttouren in Begleitung oder unter Aufsicht eines Bergführers und wird in weiteren Modulen in Betriebswirtschaft, Recht, Kommunikation und Natur und Umwelt eingeführt. Im Führerkurs werden nochmals 24 Tage in die Winter- und Sommerausbildung investiert, bevor in einer zweitägigen Abschlussprüfung der eidgenössische Fachausweis als Bergführer erlangt wird. In der Schweiz tragen heute 1500 Bergführer, davon etwa 40 Frauen, diesen geschützten Titel und dürfen kommerziell ihre Touren anbieten.
Nur wenige Bergführer arbeiten ausschliesslich mit Gästen. Viele andere Türen stehen ihnen offen. Die Zusatzausbildung «Arbeiten am Seil» ermöglicht das Arbeiten in der Felssicherung. In der alpinen Rettung fliegen oft Bergführer als Rettungsspezialisten Helikopter RSH zu Einsätzen, um in Not geratene Bergsteiger zu evakuieren. Der Bergführerberuf lässt sich auch in Kombination mit wissenschaftlichen Aufträgen ausüben, wie Meteorologie, Geografie, Geologie, Biologie, Psychologie oder Medizin.
YS
Infos zur Bergführerausbildung finden Sie in unserer Web-Link-Übersicht unter www.frutiglaender.ch/web-links.html