«Kein Handlungsbedarf» im Falle Blausee
06.11.2020 Kandergrund, Blausee, MitholzGibt es einen Zusammenhang zwischen den toten Blausee-Forellen und der Baustelle im Lötschberg? Um das zu klären, fordern zwei Frutigländer Grossräte Aufklärung – und mehr Kontrollen. Die Regierung will jedoch die laufenden Ermittlungen abwarten. Trotzdem empfiehlt sie die Motion ...
Gibt es einen Zusammenhang zwischen den toten Blausee-Forellen und der Baustelle im Lötschberg? Um das zu klären, fordern zwei Frutigländer Grossräte Aufklärung – und mehr Kontrollen. Die Regierung will jedoch die laufenden Ermittlungen abwarten. Trotzdem empfiehlt sie die Motion zur Annahme. Mit-Initiant Kurt Zimmermann ist nur teilweise zufrieden.
BIANCA HÜSING
Die Vorwürfe der Blausee AG wiegen schwer, und entsprechend gross war die Aufmerksamkeit, die die Medienkonferenz des Unternehmens am 17. September erhielt. Auch die Politik zögerte nicht lang: Noch am selben Tag lancierten die Frutigländer Grossräte Ernst Wandfluh und Kurt Zimmermann (beide SVP) eine Motion mit dem programmatischen Titel «Lückenlose Aufklärung der Ereignisse in der Region Blausee». Zimmermann und Wandfluh fragen darin einerseits, warum «die Berner Behörden» das Abfallkonzept für die Lötschberg-Sanierung überhaupt genehmigt hätten, und fordern ausserdem, dass der Regierungsrat geeignete Instrumente zur Untersuchung der Vorfälle sowie zur Verhinderung weiterer Gesetzesverletzungen einsetzt.
Mittlerweile hat die Kantonsregierung auf die Motion geantwortet. Kernaussage des Schreibens: Die Ermittlungen sind im Gange, Handlungsbedarf besteht zurzeit nicht.
Das Deponieren war zweifelsfrei verboten
Minutiös listet der Regierungsrat auf, was passiert sei, seit die Blausee AG ihn am 3. Juni über das massenhafte Sterben ihrer Forellen orientiert habe. Man habe sofort polizeiliche Ermittlungen eingeleitet und Proben des Gleisaushubs aus dem Lötschberg-Scheiteltunnel untersuchen lassen. Diese hätten sich als unverschmutzt erwiesen. Am 11. Juni habe das kantonale Amt für Wasser und Abfall (AWA) die Deponie Mitholz in Augenschein genommen und festgestellt, dass das Gleismaterial dort illegal gelagert worden sei. Noch vor dessen Beseitigung liess das AWA Wasserproben analysieren mit dem Ergebnis, dass die heiklen Stoffe allesamt unter dem Grenzwert gelegen hätten. Auch spätere Untersuchungen in der Region (darunter Wasserfassungen in Kanderbrück und Reichenbach) hätten keine Auffälligkeiten ergeben. Mitte Juli sei das illegal gelagerte Material schliesslich entfernt und nach Wimmis überführt worden.
Von einer kurzfristig abgesagten Polizeirazzia am 8. Juni, wie sie die Motionäre erwähnen, weiss der Regierungsrat nach eigenen Angaben nichts. Auch hält er die bisher durchgeführten Kontrollen und das noch laufende strafrechtliche Verfahren für die richtigen Instrumente, um die Ereignisse aufzuarbeiten. Zur Frage, warum man das Abfallkonzept genehmigt habe, stellt der Regierungsrat zunächst die Zuständigkeiten klar. So obliege die Genehmigung dem Bundesamt für Verkehr (BAV) – und nicht etwa «Berner Behörden», wie es im Motionstext heisst. Das BAV stütze sich allerdings auf den Fachbericht des kantonalen AWA, in dem die Ablagerung des Schotters unmissverständlich verboten worden sei.
Keine Gefahr für Bevölkerung und Umwelt
Da also von Anfang an ein Deponierverbot geherrscht habe und der Verstoss dagegen aufgeklärt worden sei, geht die Kantonsregierung davon aus, dass «die Prozesse und Abläufe funktionieren». Das BAV sei seiner Kontrollaufgabe nachgekommen und das AWA habe umgehend reagiert, als die Rechtsverstösse auf dem Tisch lagen. Ein Zusammenhang der illegalen Deponietätigkeit mit dem Fischsterben sei bisher nicht nachgewiesen worden, auch seien sämtliche Proben unauffällig gewesen. «Der Regierungsrat muss aufgrund seiner aktuell vorhandenen Informationen davon ausgehen, dass die Sicherheit von Umwelt und Bevölkerung gewährleistet ist und die Behördenabläufe stimmen.» Weder hinsichtlich Prävention noch Aufklärung sieht der Regierungsrat deshalb unmittelbaren Handlungsbedarf. Er wolle die Ergebnisse des strafrechtlichen Verfahrens abwarten, bis er sich ein endgültiges Bild gemacht habe – und beantragt in diesem Sinne eine Annahme der Motion in allen Punkten.
«Eine Spur mehr Eigenverantwortung»
Mit der Antwort des Regierungsrats ist Mit-Motionär Kurt Zimmermann nur teilweise zufrieden. Zu den bisherigen Untersuchungen hält er fest: «Ich bin beruhigt, dass der Regierungsrat und das zuständige Amt sofort nach Bekanntwerden der Vorkommnisse reagiert haben. Auch finde ich es richtig, dass nun die Geschäftsprüfungskommission des Grossen Rates eingeschaltet ist.» Eine parlamentarische Untersuchungskommission wäre aus Zimmermanns Sicht übertrieben gewesen.
Nicht besonders erbaut ist der Motionär von der Antwort auf die Forderung, der Kanton möge seine personellen Ressourcen vorwiegend für die Aufsicht über Grossbaustellen einsetzen. Der Regierungsrat verweist dazu abermals auf die Zuständigkeit des Bundes. Das AWA kontrolliere Baustellen in seinem Zuständigkeitsbereich prioritär nach deren Umweltrelevanz. Diese Begründung hält Kurt Zimmermann indes für ausweichend. «Die Baustelle im Lötschberg-Scheiteltunnel ist zurzeit eine der grössten des Kantons. Hier hätte ich vom Regierungsrat eine Spur mehr Eigenverantwortung erwartet.» Zudem sei der Kanton Bern Mehrheitsaktionär der BLS AG und somit verpflichtet, seine Aufsichtsfunktion bei derart grossen Projekten – aber auch bei anderen BLS-Unternehmenstätigkeiten – künftig konsequenter auszuüben. «Ich werde den Eindruck nicht los, dass der BLS AG als Bauherrin im Bewilligungsverfahren zu viele Fehler unterlaufen sind», so Zimmermann.
Die vollständige Motion inklusive die Antwort der Regierung finden Sie in unserer Web-Link-Übersicht unter www.frutiglaender.ch/web-links.html
Ein «gekauftes Gefälligkeitsgutachten»?
Dass alle bisherigen Kontrollen zur Aufklärung des Fischsterbens geeignet sind, würde die Blausee AG wohl nicht unterstreichen. Erst kürzlich kritisierte sie den vom Steinbruch beauftragten Fachbericht der Geotest AG scharf. Die Untersuchungen seien zur falschen Zeit am falschen Ort und auf Grundlage einseitiger Informationen durchgeführt worden (der «Frutigländer» berichtete). Am Donnerstag legte die Blausee AG nach und publizierte die Stellungnahme des Geologen und Gerichtsexperten Hans Rudolf Keusen. Keusen sei jahrzehntelang selbst Geschäftsführer der Geotest AG gewesen und habe auch die Betreiber des Steinbruchs während 15 Jahren in geologischer und hydrologischer Hinsicht beraten. In seiner Stellungnahme listet er detailliert methodische Mängel des Geotest-Gutachtens auf – von falschen Modellen bis zu nicht fachgerechten Probenentnahmen. Die Blausee AG spricht inzwischen sogar von einem «gekauften Gefälligkeitsgutachten» der Geotest AG , die aufgrund diverser Aufträge eng mit dem Steinbruch verbunden sei. Das Grundwasser sei nachweislich mit giftigen Stoffen verunreinigt worden.
HÜS