KOLUMNE – DERFÜR U DERWIDER
10.11.2020 KolumneInhalt und Verpackung
Wie es denn um Himmels Willen sein könne, dass ich als bekennender Christ und Politiker mit konservativen Wurzeln die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare befürworte, wurde ich oft direkt und noch öfter indirekt gefragt. Damit verrate ich doch ...
Inhalt und Verpackung
Wie es denn um Himmels Willen sein könne, dass ich als bekennender Christ und Politiker mit konservativen Wurzeln die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare befürworte, wurde ich oft direkt und noch öfter indirekt gefragt. Damit verrate ich doch unsere christlich-abendländischen Werte. Höchste Zeit also, darüber zu reden, zu schreiben, zu zwitschern – was auch immer. Nein, nicht über Homosexualität, sondern über unsere christlich-abendländischen Werte und die konservative Haltung, die in diesem Zusammenhang immer wieder gepriesen wird.
Die Versuchung, politische Ideen und komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge zu schubladisieren und mit Schlagwörtern zu versehen, ist gross und verständlich. Das Problem solcher Schubladen ist jedoch, dass oft gar nicht das drin ist, was draufsteht. Wenn wir die Schublade mit der Aufschrift «konservativ» öffnen, mieft es schon beim Aufziehen der selbigen und der Inhalt zerfällt fast zu Staub. So zumindest die Wahrnehmung, die mir oft begegnet. Sogar der Duden verweist auf Synonyme wie «althergebracht», «rückständig» oder «unzeitgemäss». Auch der Blick auf die Bühnen der weltweiten Politik zeigt kein besseres Bild. Amerikanische Konservative klammern sich wie Kletten an die Todesstrafe oder an das Recht auf Waffenbesitz, während sie wissenschaftliche Erkenntnisse oder gesellschaftliche Veränderungen fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Die Reputation der konservativen Politik ist angeschlagen, angezählt. Höchste Zeit also, diesen rückständigen Pfad zu verlassen oder – und das ist meine Absicht mit dieser Kolumne – neu zu denken.
Beginnen wir ganz vorne, auf Feld eins. Der Begriff «konservativ» kann auf das lateinische «conservare» zurückgeführt werden, was so viel bedeutet wie bewahren, erhalten oder retten. Der Ausdruck begegnet uns übrigens auch in der Küche beim Öffnen einer Konservendose. Zugegeben: Es ist nicht wirklich frisch und knackig, was da zum Vorschein kommt. Aber letztlich geht es doch um die Frage, ob es für unsere Gesellschaft und in unseren politischen Debatten Inhalte gibt, die es wert sind, bewahrt zu werden.
Um dies zu ergründen, sollten wir uns mit den Begriffen «Werte» und «Normen» auseinandersetzen und diese klar voneinander abgrenzen. Werte, Grundwerte oder Wertvorstellungen sind Handlungsziele oder Sinndeutungen, die immerwährend und uneingeschränkt gültig sind. Stellvertretend und beispielhaft dafür steht die Präambel in unserer Bundesverfassung. Das Schweizervolk gibt sich seine Verfassung «im Willen, in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung ihre Vielfalt in der Einheit zu leben» und in der Gewissheit, «dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen». Das ist edel und erstrebenswert. Um dies umzusetzen und einzufordern, sind offenbar entsprechende Normen nötig. Dies können Gesetze und Verordnungen, aber auch kirchliche Dogmen oder gesellschaftliche Verhaltensregeln sein. Solche Normen stehen immer in einem gesellschaftlichen, kulturellen oder sozialen Kontext und sind damit nur bedingt und zeitlich begrenzt gültig. Normen können validiert und eingefordert werden, Werte nicht. Damit will ich die Bedeutung von Normen keineswegs herunterspielen. Regeln geben uns Sicherheit und Halt und sind unerlässlich für ein gelingendes Miteinander. Normen sind sozusagen die Verpackung gemeinsamer Wertvorstellungen.
Als wertekonservativer Politiker bringe ich demnach zum Ausdruck, dass ich den Inhalt dieser Verpackung, die immerwährenden Werte, hochhalten und bewahren will: Solidarität, Selbstverantwortung, Gleichberechtigung, Toleranz, Güte, Treue oder Vernunft. Über die Verpackung dieses wertvollen Inhalts dürfen wir gerne streiten und neue Wege suchen.
Eigentlich sollte ich nun noch erläutern, warum (um Himmels Willen) ich denn nun die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare befürworte. Leider sind die 4000 Schriftzeichen aufgebraucht, die mir die Redaktion freundlicherweise für diese Kolumne zugesteht. Dies bedeutet, dass Sie, liebe Leserin und lieber Leser, die Bewertung dieser Frage wohl selbst vornehmen müssen. Ich schlage vor, ebenfalls auf Feld eins zu beginnen.
HANS PETER BACH
HANSPETER.BACH@LIVENET.CH