Schaden vom Schweizer Sport abwenden
17.11.2020 Coronavirus, Porträt, SportHippolyt Kempf war in den 1990er-Jahren ein erfolgreicher Schweizer Spitzenathlet. Weniger bekannt ist, dass der Nordisch-Kombinierer heute als Projektleiter beim Bundesamt für Sport (BASPO) die strategischen Grundlagen für die Bewältigung der Covid-Krise im Sport ...
Hippolyt Kempf war in den 1990er-Jahren ein erfolgreicher Schweizer Spitzenathlet. Weniger bekannt ist, dass der Nordisch-Kombinierer heute als Projektleiter beim Bundesamt für Sport (BASPO) die strategischen Grundlagen für die Bewältigung der Covid-Krise im Sport erarbeitet.
PETER SCHIBLI
Als Bub ging er regelmässig in Adelboden z'Alp. Als junger Athlet sprang er vor 25 Jahren auf der Schanze der Nordic Arena und gehörte 1997 in Kandersteg zu den Organisatoren der Schweizer Meisterschaften. Heute ist Hippolyt Kempf als Direktor Nordisch bei Swiss-Ski und als Forscher, Dozent und Leiter der Abteilung «Wirtschaft und Sport» beim BASPO tätig. In dieser Funktion berechnet der promovierte Sportökonom die volkswirtschaftlichen Schäden, die sich aus der Covid-Krise ergeben, formuliert Unterstützungsvorschläge und denkt über neue Sportformate sowie -produkte nach.
Die gesellschaftliche Bedeutung des Breiten- und Spitzensports für die Volksgesundheit, die Freizeitgestaltung, den Tourismus und die Volkswirtschaft ist laut Kempf riesig. Auf 11,4 Milliarden Franken schätzt eine Studie vom Mai 2020 dessen jährliche Bruttowertschöpfung. Der ehrenamtliche Beitrag von Sportakteuren beläuft sich auf 2,1 Milliarden Franken. Nicht weniger als 100 000 Stellen hängen schweizweit direkt vom Sport ab.
Die Covid-Krise bedroht auch die Sportwirtschaft. Gut 60 Prozent dieses Wirtschaftszweigs sind laut Kempf von der Krise tangiert. Die Rezession lässt ganze Bereiche wegbrechen. Anlässe generieren keine Einnahmen mehr, Produkte finden keine Abnehmer, Sponsoren springen ab, der Wintertourismus leidet. Ligen, Verbände und Vereine sind in ihrer Existenz gefährdet. Bisher gingen bei Swiss Olympic Schadensmeldungen in der Höhe von 118 Millionen Franken ein. 66 Sportverbände haben Gesuche um finanzielle Unterstützung eingereicht.
Eine Studie rechnet mit noch höheren Verlusten von bis zu 684 Millionen Franken. 5870 Stellen sind bedroht. Die Studie basiert auf dem Szenario, wonach die Covid-Krise noch bis Mai 2021 andauert.
Zinslose Darlehen oder Beiträge à fonds perdu?
Trotz Lockdowns ging es der Schweizer Wirtschaft am Ende der ersten Welle besser als erwartet, bilanziert Kempf. Nun gelte es, einen zweiten Lockdown zu verhindern und mit einem Slowdown gewaltige volkswirtschaftliche Schäden in der Sportwirtschaft und im Tourismus zu vermeiden. Aus diesem Grund blieben Grossanlässe in den Bereichen Fussball und Hockey mit wenigen Zuschauern erlaubt, quasi als Fernsehspiele mit Werbe- und TV-Einnahmen. Auch die FIS-Rennen in Adelboden und Wengen (Lauberhorn) müssten unter allen Umständen und falls nötig ohne Live-Publikum durchgeführt werden, fordert der geborene Innerschweizer. Sonst entstehe ein zusätzlicher Schaden von mehreren Millionen Franken.
Dass im Breitensport derzeit keine Wettkämpfe erlaubt sind, im Profisport dagegen schon, findet Kempf begründet. Die Profisportler müssten sehr restriktive Auflagen, beispielswiese tägliche Covid-Tests, erfüllen. Entsprechende Auflagen seien den vielen Amateursportlern nicht zuzumuten. Die in einem ersten Stabilisierungspaket von Bundesrat und Parlament beschlossenen Unterstützungsbeiträge für Amateurvereine in der Höhe von gut 100 Millionen Franken sind laut Kempf eine erste Kompensation. Für die Profi-Clubs, Verbände und Ligen wird ein wesentlich höheres Rettungspaket geschnürt. Der Bund wird in diesem und in den beiden nächsten Jahren je 175 Millionen Franken an zinslosen Darlehen für sie bereitstellen. Über A-fond-perdu-Beiträge wird derzeit nachgedacht.
Herausforderungen als Chance
Nach Ansicht des ehemaligen Spitzenathleten bringt die Covid-Krise für die Sportakteure auch Chancen mit sich. Nun biete sich die Gelegenheit, dass sich der Sport stärker als vitaler Partner für den Tourismus positioniere. Den Engadiner Skimarathon könne man auf eine ganze Woche verteilt anbieten und so den Grossanlass von einem Tagesevent zu einer Wochenveranstaltung machen, zum Wohl der lokalen Hoteliers und Restaurants.
Durch eine nachhaltige Konzentration von Weltcup-Rennen an einem Ort oder in einer Region würde das Verkehrsverhalten der Teilnehmer optimiert und der Reisestress der Athleten reduziert. Die Entwicklung neuer, digitaler Sportformate könnte dem Sport zu neuen Nutzern verhelfen, beispielsweise durch Virtual-Reality- oder eGaming-Versionen realer Sportveranstaltungen.
Wer Hippolyt Kempf zuhört, staunt über dessen Fachkenntnis, Innovationsgabe und Selbstdisziplin. Der 55-Jährige gilt in Sportkreisen als eigenwilliger Mensch. Nach seinem sportlichen Erfolg entzog er sich der Vermarktung und dem Medienrummel. Er baute mit «kernigem Humor, einer Portion Zynismus und viel Selbstironie ein Schutzschild um seine Person auf», wie es der Zürcher «Sport» formulierte. Kempf sei ein «blitzgescheiter Querulant», schrieb vor einem Jahr die NZZ. Der Sportökonom versteht diese Charakterisierung als Kompliment und bestätigt, dass er zu Aktivzeiten als «sperrig» galt. Nun habe er dank seines Studiums gelernt, ein Gleichgewicht zwischen Mainstream- und Querulanten-Haltung zu finden. Heute stelle er sich so lange quer, bis seine Alternativen als kreative Denkanstösse verstanden würden.
Bei Swiss-Ski, wo er 80 Prozent seiner Arbeitszeit verbringt, beim BASPO, wo er 20 Prozent arbeitet, aber auch unter Freunden, kennt man Kempf unter dem Spitznamen Hippy. Daran habe er sich längst gewöhnt, bestätigt er lachend. Seine Vorfahren entstammen einem alten Rittergeschlecht und wanderten aus dem Elsass in die Schweiz ein. Auch sein Vater, Grossvater und Urgrossvater trugen den Vornamen Hippolyt.
Einen Vortrag von Hippolyt Kempf zum Thema «Corona-Krise: Herausforderungen und Chancen» finden Sie in unserer Web-Link-Übersicht unter www.frutiglaender.ch/web-links.html
ZUR PERSON
Einzelsportler und Teamplayer
Hippolyt Kempf, geboren am 10. Dezember 1965 in Luzern, errang 1988 in Calgary als erster Schweizer Skisportler Einzelgold in der Disziplin Nordische Kombination. Kempf gehörte auch an den Olympischen Winterspielen 1994 in Lillehammer zum Kader. Überraschend gelang ihm mit der Mannschaft der Gewinn der Bronzemedaille. Dieses Rennen bezeichnet Kempf als seinen «schönsten Lauf».
Seine Karriere als Spitzensportler beendete er 1994 mit einem Sieg in Thunder Bay (Kanada). Gefragt nach seinem grössten Erfolg, erwähnt er seinen letzten Schanzeneinsatz. Dank jahrelanger Erfahrung, guter Nerven und eines präzisen Timings sei ihm damals der perfekte Sprung gelungen.
PS