ERSATZ FÜR DEN SCHMUTZLI
In diesem Jahr hat der Schmutzli einen vergleichsweise einfachen Job. Statt jedes Kind (und jeden Erwachsenen) einzeln zu beurteilen, kann er gleich den kollektiven Mahnfinger erheben – und sogar eine Einheitsstrafe androhen. Seine Botschaft: ...
ERSATZ FÜR DEN SCHMUTZLI
In diesem Jahr hat der Schmutzli einen vergleichsweise einfachen Job. Statt jedes Kind (und jeden Erwachsenen) einzeln zu beurteilen, kann er gleich den kollektiven Mahnfinger erheben – und sogar eine Einheitsstrafe androhen. Seine Botschaft: Wenn ihr euch jetzt nicht in Verzicht übt, eure Kontakte reduziert und Masken tragt, fällt Weihnachten 2020 komplett aus.
Tatsächlich scheint derzeit die grösste Angst vieler Schweizer zu sein, das Fest nicht im Kreise der erweiterten Familie oder mit Freunden verbringen zu dürfen. Besonders schlimm dran sind jene, deren Angehörige im Ausland oder im Altersheim leben. Schmutzli hätte also ein überzeugendes Druckmittel in der Hand, um die Menschen zu mehr An- respektive Abstand zu bewegen. Allerdings hat er ein entscheidendes Problem: Die Lust aufs Fest wird wahrscheinlich über die kommenden Wochen sowieso verpuffen. Die Vorweihnachtszeit wird vieles von dem Zauber einbüssen, der ihr sonst innewohnt. Keine Weihnachtsmärkte, keine Adventsfenster, keine Glühweintreffs – wie soll da bitte Stimmung aufkommen? Selbst mit der sonst so verlässlichen Konsumfreude der Menschen ist es dieses Jahr nicht weit her, fehlt vielen doch die finanzielle Grundlage. Ob der Samichlaus-Kompagnon also Erfolg hätte mit seiner erzieherischen Massnahme, ist mehr als fraglich.
Nun ist die Schmutzli-Kultur ohnehin dem Untergang geweiht, vielerorts ist die Figur bereits abgeschafft worden. Drohungen seien pädagogisch zweifelhaft und würden die Kinder (und die Erwachsenen) nur verängstigen. Die Junge SVP hat die Zeichen der Zeit erkannt. In einem dringlichen Schreiben fordert sie den Bundesrat dazu auf, der Bevölkerung ein Weihnachtsgeschenk zu machen und das Veranstaltungsverbot über die Feiertage auszusetzen. Die Jungpartei, die nach eigener Aussage «Weihnachten retten» will, stellt dafür keine Bedingungen – anders als Schmutzli, der nur wieder moralisierend mit den Fallzahlen wedeln würde.
Überlassen wir die Bescherung künftig also besser den Jungpolitikern als irgendwelchen Phantasiefiguren. Vielleicht gelingt es ihnen ja nebenbei, die Lust auf Weihnachten zu reanimieren.
BIANCA HÜSING
B.HUESING@FRUTIGLAENDER.CH