SCHRITT FÜR SCHRITT
06.11.2020 KolumneFreiheit
Ja, ich darf mich als freiheitsliebenden Menschen bezeichnen. Wenn ich rausgehe in die Natur, irgendwo allein oder mit Freunden zusammen auf den Trails unterwegs bin, dann fühle ich mich frei. Es ist dieses schöne Gefühl, nicht mehr als ein Paar Turnschuhe zu ...
Freiheit
Ja, ich darf mich als freiheitsliebenden Menschen bezeichnen. Wenn ich rausgehe in die Natur, irgendwo allein oder mit Freunden zusammen auf den Trails unterwegs bin, dann fühle ich mich frei. Es ist dieses schöne Gefühl, nicht mehr als ein Paar Turnschuhe zu brauchen, um für einige Stunden Schritt für Schritt in eine völlig andere Welt einzutauchen, fernab vom Alltag. Und es spielt dabei keine Rolle, ob die Sonne scheint oder ob es stürmt oder regnet. Es ist auch absolut unwichtig, wie meine Frisur aussieht, welche Farbe meine Turnschuhe haben, oder ob man die Farbe überhaupt noch erkennen kann, weil sie durch so unwegsames Gelände gelaufen sind.
Dieser Drang nach Freiheit hat mich diesen Herbst dazu motiviert, mir einen Herzenswunsch zu erfüllen. Zehn Tage bin ich quer durch die Schweiz gelaufen, auf der Via Alpina von Vaduz nach Montreux. Zehn Tage war ich laufend draussen unterwegs, ausgestattet mit dem nötigsten Gepäck, über diverse Alpenpässe von Ort zu Ort. Keine Zeitvorgaben, keine Termine, keine Pflichten. Das bedeutet wahre Freiheit für mich. Als ich am 7. Tag dann in Kandersteg angekommen bin und mir dort im Coop eine kleine Zwischenverpflegung kaufte, wurde ich an der Kasse von einer Frau beschimpft, dass ich gefälligst etwas zurückstehen solle. Was für ein Schlag ins Gesicht! Von einer heilen Welt kommend, in der von Corona nichts zu spüren war, wurde ich im Nu zurück in die Welt von Corona katapultiert. Hatte diese Frau ernsthaft Angst, ich könnte sie mit einer tödlichen Krankheit anstecken? Ich habe mich noch nie so gesund gefühlt wie in diesem Moment!
Der Zwischenfall beschäftigte mich noch eine Weile. Wie viel Freiheit bleibt noch, wenn ich wieder zurück bin im Alltag? Die Antwort darauf ist bekannt. Der heutige Alltag ist geprägt von Massnahmen und Regeln: Abstand halten, desinfizieren, möglichst wenig soziale Kontakte pflegen, Personalien eintragen beim Besuch eines Restaurants, Schutzkonzepte erstellen, Masken tragen, Schliessungen der Betriebe, die vor allem dafür Zeit aufwenden, ihre Schutzkonzepte umzusetzen, Quarantäne, obwohl man keinerlei Symptome hat ... Dazu kommt die Herausforderung, den Eltern und Grosseltern zu erklären, warum man sie nicht besuchen kommen kann, den Kindern beizubringen, dass sie nicht mit anderen spielen sollen und niemanden umarmen dürfen. Hätte mir vor einem Jahr jemand gesagt, dass ich nicht mehr ohne Maske aus dem Haus gehen kann, hätte ich ihn ausgelacht. Heute ist es bittere Realität. Im Wikipedia steht: Freiheit wird in der Regel als die Möglichkeit verstanden, ohne Zwang zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten auswählen und entscheiden zu können. Wie viel von dieser Freiheit ist heute noch vorhanden? Wenigstens kann ich weiterhin meine Runden drehen. Ohne Maske. Ein kleines Stück Freiheit, das ich mir nicht nehmen lassen werde.
HELENE OGI
INFO@FIT-MIT-MOVIDA.CH