PUNKTLANDUNG - Kirchturmgemüse auf Schieferplatte
15.12.2020 KolumneKirchturmgemüse auf Schieferplatte
Seit einigen Tagen liegt auf unserem Couchtisch ein Buch im handlichen Single-Schallplattenformat – für jüngere Leserinnen und Leser: 20 × 20 Zentimeter. Es trägt den Titel «C’est quoi sur l’ardoise?», frei übersetzt: «Was ...
Kirchturmgemüse auf Schieferplatte
Seit einigen Tagen liegt auf unserem Couchtisch ein Buch im handlichen Single-Schallplattenformat – für jüngere Leserinnen und Leser: 20 × 20 Zentimeter. Es trägt den Titel «C’est quoi sur l’ardoise?», frei übersetzt: «Was hat es auf der Schiefertafel?». Im Untertitel liegt ein Teil der Antwort: «Recettes faciles du Sens de la Terre: Einfache Rezepte aus der Landküche».
Nun ist «Sens de la Terre» auch der Name eines Restaurants in F-24 360 P iégut-Pluviers. Piégut-Pluviers? Da musste ich schon googlen: Der Ort mit gut 1000 Einwohnerinnen und Einwohnern liegt im Département Dordogne, also etwa in der Mitte von nirgendwo im Südwesten Frankreichs zwischen Limoges und Bordeaux. Dort hatten die Köchin Claire mit ihrem Luzerner Mann Leo das Lokal 2014 übernommen und – wenn man der Bewertungsplattform Trip Advisor traut – sehr erfolgreich geführt. Bis zum 16. März 2020, als die Corona-Pandemie den Betrieb lahmlegte. Wer glaubte, sich für die nächsten Tage oder Wochen einen der wenigen Tische ergattert zu haben oder noch einen reservieren wollte, musste abgewiesen werden.
Die verhinderten Gäste fragten enttäuscht am Telefon, was sie denn kochen sollten. Claire und Leo waren um keine Antwort verlegen: «Das, was Sie zu Hause vorrätig haben und in der Nähe kaufen können. Also Teigwaren, Eier, Gemüse …». Sie selbst starteten einen abendlichen Take-away-Service von Montag bis Samstag. Mittwochs gabs Mittagessen zum Mitnehmen, denn dann ist Markttag in Piégut-Pluviers. Ausserdem begannen Claire und Leo auf ihrer Facebook-Seite, einfache Rezepte zu veröffentlichen, um mit ihren geschätzten Kunden im Kontakt zu bleiben und ihnen inspirativ über die kulinarischen Runden zu helfen.
Der Shutdown dauert an, und statt zu resignieren, kam dem initiativen Paar die Idee, aus den auf Facebook vorgestellten Gerichten ein Kochbuch zu machen. Rezepte mit einfach zu beschaffenden Zutaten, also ohne Schickimicki, bei denen eine Prise von diesem und eine Messerspitze von jenen, nur im Spezialitätengeschäft in der Grossstadt erhältlichen, Gewürzen benötigt werden. Simple Vorspeisen, einfache Snacks, leicht nachzukochende Gerichte für die Seele und auch Süsses zum Dessert. All das inspiriert sowohl von ihrer früheren Zeit in Australien als auch von der Schweiz – Fondue trois fromages –, einiges aus fernen Ländern und vieles aus der Gegend. Der Charme dieses Rezeptbuchs liegt in den Fotografien und in den leicht verständlichen Anweisungen: Die Mise-enplace der Zutaten ist beschrieben und fotografiert, von den einzelnen Zubereitungsetappen gibt es Aufnahmen, und schliesslich ist das Resultat lecker angerichtet abgebildet.
Jetzt fragen Sie sich noch, was das mit der Kirchturmspitze im Titel zu tun hat? Und was «Landküche» heisst? Die Antworten darauf gab mir vor langer Zeit ein Hotelier und Restaurateur aus dem Berner Mittelland: «Ich versuche, nur Früchte und Gemüse auf den Teller zu bringen, die in dem Einzugsgebiet wachsen, das ich von der Spitze unseres Kirchturms überblicke.» Bei ihm war die lokale Kochphilosophie nicht von einer Krise inspiriert – sondern vom Bewusstsein, dass mit Bodenständigkeit Gäste zu gewinnen sind. Das gilt in guten wie in schlechten Zeiten, in Piégut-Pluviers wie im Bernerland.
KURT METZ
MAIL@KURTMETZ.CH
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