UNTERLÄNDER IM OBERLAND - Weihnachten in den Bergen
08.12.2020 KolumneWeihnachten in den Bergen
In meiner Kinderzeit verbrachten wir die Festtage in Adelboden. Das Ganze war ein riesiger Irrtum.
Aber mein Vater wollte am Weihnachtstag auf die Bretter. Und am Silvester den Sektkübel im Schnee vor dem Haus kühlen.
Damals lag noch ...
Weihnachten in den Bergen
In meiner Kinderzeit verbrachten wir die Festtage in Adelboden. Das Ganze war ein riesiger Irrtum.
Aber mein Vater wollte am Weihnachtstag auf die Bretter. Und am Silvester den Sektkübel im Schnee vor dem Haus kühlen.
Damals lag noch überall hüfthoch Schnee herum – und nicht an jeder Ecke nur der Abfall des Apéro-Tourismus.
Schon früh morgens schnallte das Familienoberhaupt also am Weihnachtstag die Felle auf die Bretter und zuckelte in Richtung «Höchst» am Chuenisbärgli.
Das Schlimmste: der Bub zuckelte hinterher. Er musste. Es gab kein Pardon. Kein Sorgentelefon für die U-10-Jährigen. Und keinen Kinderschutz.
Nicht umsonst hatte das Christkind dem armen Buben ein paar neue Ski gebracht. Und diese – weil es einfach unmöglich war, Ski nett zu verpacken – hinter den Vorhängen versteckt. Dazu die passenden Felle. Seehund! Die waren separat verpackt. Diesmal m i t Schleife.
DAS WAR DANN GLEICH NOCHMALS EINE ENTTÄUSCHUNG! WO ICH DOCH AUF DIE PUPPE MIT DEN SCHLAFAUGEN GEHOFFT HATTE.
Ich konnte also diesen sportlichen Weihnachtstagen am Fusse des Wildstrubels nie etwas abgewinnen.
In der Nacht des Heiligabends war die Familie gereizt wie zwanzig Stiere vor dem roten Tuch. Bis um fünf Uhr mittags waren alle im Basler Geschäft gestanden. Die Geschenke, die gefütterten, langen Unterhosen, das vorgekochte «Schüüfeli» und die Harrasse mit dem süsslichen Festtags-Spumante gammelten seit drei Tagen bereits im Kofferraum des uralten Opels vor sich hin.
Natürlich war der 24. Dezember der «heisseste» Tag im Geschäftsjahr eines Tante-Emma-Ladens. Allen fiel im letzten Moment ein, dass sie noch Zucker oder eine Büchse Ravioli für die Tage danach brauchten.
Mutter, Tante und die Omi lagen also bereits fix und fertig in den Autopolstern, als Vater endlich in Richtung Berner Oberland losfuhr. ABER HALLO! Das war damals noch eine Weltreise – keine Autobahn. Keine Tunnel. Alles Schmalspurstrassen. Und alle mit einem Hang voller Steine, die immer mal das Fröhliche und die Weiterfahrt blockierten. Bis Liestal machte unsere Mutter alle madig mit ihrem Gewimmer: «Ich weiss nicht mehr, ob ich das Gas abgestellt habe …» In Burgdorf kotzte ich erstmals Vater ins Genick, weil er die Kurven zu rasant ausfuhr. Und spätestens in Spiez weckte uns Tante Gertrude mit dem Schrei: «Oh Gott – ich habe meine Geschenke vergessen!» JAMMERTAL. DIE VON TANTE GERTRUDE WAREN STETS DIE BESTEN!
Unsere unheilige Unruhe an diesem Abend muss sich auch auf den Dackel übertragen haben. Jedenfalls bellte er hysterisch, was ein Zeichen dafür war, dass man ihn bitte vor einem Baum absetze – sonst garantiere er für nichts! Er bellte jede Viertelstunde. Bis es meinem Vater zuviel wurde und er der Oma befahl: «Gib ihm drei Würfelzucker mit Klosterfrau Melissengeist – dann gibt er Ruhe!»
Da die Omi die Klosterfrauen schon mal aus der Handtasche ausgepackt hatte, verteilte sie die Tropfen gleich grosszügig an alle. Und weil sie mich besonders liebte, bekam ich acht Würfelzucker mit 78-prozentigem Alkohol ab. Als wir gegen Mitternacht in Adelboden ankamen, war ich blau wie ein Veilchen und sang immer wieder «Stägeli uff, Stägeli ab – juchee» statt des stilgerechten «Stille Nacht».
Das Schlimmste war der Baum. Da konnten die mir lange etwas vom Christkind, das für die lieben Kinder immer den schönsten Baum aussuche, daherschwafeln. Unserer war krumm wie Öschters Jakobli nach einer Sauftour. Überdies fielen bei ihm die Nadeln aus, wie den Hühnern die Federn bei der Mauser. Und vor dem schiefen Besen lagen sechs Schachteln mit zum grössten Teil zersplitterten Kugeln. Dazu die Erklärung: «Mizzi hat sich aus Versehen in die Stube verirrt.» Mizzi war die Katze unserer Nachbarin.
VON WEGEN: «OH DU FRÖHLICHE»! SO ETWAS WAR KEIN SELIGES HEIMKOM-MEN ZUM CHRISTFEST!
Die Alten wollten sofort ins Bett – die Klosterfrauen und deren Melissengeist im Zucker hatten ihnen noch den Rest gegeben. Ich aber schrie Zetermordio: «Die Geschenke … die Geschenke!»
Hätte ich nur den Mund gehalten! ES KAMEN DANN EBEN DIE SKI MIT FELL!
Am folgenden Tag keuchte ich durch die Landschaft hinter meinem Vater her. Und schwor: «N i e mehr Weihnachten in den Bergen!»
Heute sitze ich im Chalet. Und freue mich, dass mir die Schneekanonen das Feeling zurückbringen, welches ich vor fast 70 Jahren hier oben erlebt habe. Ich genies se jetzt allerdings jede Sekunde – und speziell, dass mir keiner mehr Ski schenkt. Sondern mitunter eine Barbiepuppe. Oder ein Fläschchen Klosterfrau.
- MINU
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