EIN PUNKT FÜRS AUSRUFEZEICHEN
Medienleute geniessen ja bekanntlich nicht überall den besten Ruf. Doch wissen wohl die wenigsten, dass es die Journalistinnen und Journalisten selbst sind, die ihre Glaubwürdigkeit demontieren – und zwar Satz für Satz. Mit inhaltlichen ...
EIN PUNKT FÜRS AUSRUFEZEICHEN
Medienleute geniessen ja bekanntlich nicht überall den besten Ruf. Doch wissen wohl die wenigsten, dass es die Journalistinnen und Journalisten selbst sind, die ihre Glaubwürdigkeit demontieren – und zwar Satz für Satz. Mit inhaltlichen Unzulänglichkeiten hat das erst einmal nichts zu tun, sondern mit der Interpunktion. Wird ein Satz nämlich mit einem Punkt beendet, so beeinträchtigt dies offenbar seine Glaubwürdigkeit. Zumindest besagt das eine New Yorker Studie, die vor ein paar Jahren die Wirkung elektronischer Kurznachrichten untersucht hat.
Ganz anders sieht die Lage aus, wenn über dem Punkt ein Strich steht: Das Ausrufezeichen verpasste den Aussagen laut Empfängern einen «motivierten und ehrlichen» Anstrich. Dabei sorgt dieses Satzzeichen immer wieder für rote Köpfe: Schon der Kulturkritiker Theodor W. Adorno geisselte es vor über 50 Jahren als «verzweifelte Schriftgebärde, die vergebens über die Sprache hinausmöchte».
Viele Menschen hat Adorno offensichtlich nicht überzeugen können. Seit Jahren erlebt das Ausrufezeichen einen Boom und wird mittlerweile nicht nur einmal, sondern gleich mehrmals hintereinander gesetzt. Das ist nur verständlich – wer lässt sich schon die Chance entgehen, seine Integrität mit ein paar Tastenschlägen aufzupolieren.
Überraschenderweise haben die meisten Medien die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt. Sie geizen mit Ausrufezeichen nach wie vor, was auch der Blick in die aktuelle «Frutigländer»-Ausgabe zeigt. Dabei würden doch Titel wie «Das Festival, das nicht stattfindet!» (siehe nebenan) oder Google weiss, wo du gestern gewesen bist!!! (Seite 6) dem Blatt doch eine ganz neue Qualität verleihen ...
Die Kolleginnen und Kollegen dürften sich von meinen Erkenntnissen nicht so rasch beeindrucken lassen. Daher habe ich nun eigenmächtig ein erstes Zeichen gesetzt – und diesen Schlusspunkt kurzerhand umbenannt. Mein Text gewinnt dadurch bestimmt an Glaubwürdigkeit. Ganz bestimmt!!!
JULIAN ZAHND
J.ZAHND@FRUTIGLAENDER.CH