Weltcup: «Der Kreis schliesst sich»
12.01.2021 Adelboden, SportBernhard «Berni» Schär, SRF-Radiolegende, kommentierte zum letzten Mal vor seiner Pensionierung die Rennen am Chuenisbärgli, die ausgerechnet dieses Jahr ohne Zuschauer ausgetragen wurden. Im Interview erzählt er von seiner Beziehung zu Adelboden und erklärt, warum er an die Zukunft des ...
Bernhard «Berni» Schär, SRF-Radiolegende, kommentierte zum letzten Mal vor seiner Pensionierung die Rennen am Chuenisbärgli, die ausgerechnet dieses Jahr ohne Zuschauer ausgetragen wurden. Im Interview erzählt er von seiner Beziehung zu Adelboden und erklärt, warum er an die Zukunft des Rennens glaubt.
Herr Schär, Ihre letzte Ausgabe des Ski-Weltcups in Adelboden verläuft ohne den brodelnden «Hexenkessel». Was fühlen Sie dabei?
Für mich schliesst sich der Kreis. Das erste Rennen, das ich fürs SRF am Chuenisbärgli kommentierten durfte, war 1992, als Hänsi Pieren seiner Karriere mit einem ausgezeichneten zweiten Platz das Krönchen aufsetzte. Er präparierte seine Ski selbst, weil der Ausrüster ihm keinen Servicemann zur Verfügung gestellt hatte. Damals führte Adelboden zum letzten Mal ein Rennen ohne Zuschauertribüne durch. 1995 bildete sich ein neues OK, der legendäre Fred Rubi trat ab, der junge Peter Willen übernahm das Zepter. Der Skiwettkampf sollte ein Volksfest werden, eine grosse Tribüne wurde aufgebaut. Alberto Tomba lockte Tausende Italiener an und gewann auch. 1996 kam die Videowand, 1997 machten zum ersten Mal Cheerleader Stimmung – eine Neuheit in der Weltcupgeschichte! Und jetzt bin ich «zurückkatapultiert» auf die ebenerdige Kommentatoren-Box wie im tribünen-freien 1992. Ich moderierte sonst immer aus luftiger Höhe, 30 Meter über dem Boden zuoberst auf der Tribüne. 2021 befinde ich mich wieder im «Parterre», wo ich begonnen habe.
Adelboden hatte immer einen besonderen Wert in Ihrer Karriere. Warum?
Der Ort ist in meinem Herzen seit ich ein kleiner Bub war. Wir verbrachten mit der Sekundarschule meistens das Skilager hier. In der achten Klasse brach ich mir am Fläckli das Schienbein. Mit einem langen Gips musste ich 14 Tage später an der Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium Langenthal an der Wandtafel mathematische Konstruktionen mit Zirkel und Transporteur zeichnen. Auf einem Bein stehend und mit Krücken gelang mir das mehr schlecht als recht. Als 15-Jähriger hätte ich nie gedacht, dass ich künftig 29-mal die Rennen in Adelboden kommentieren würde.
Woran erinnern Sie sich am liebsten?
Unvergesslich sind die Schweizer Siege. 1996 derjenige von Mike von Grünigen, nachdem er schon fünfmal im Weltcup gewonnen hatte, aber nie in Adelboden. Es war eine Befreiung für den Schweizer Skisport, für ihn und für uns Journalisten. 2002 entschied Didier Cuche das Rennen für sich. Damals noch nicht zu den Erfolgreichsten gehörend, triumphierte er als erster auf der verlängerten Strecke und bewältigte das extrem steile Kanonenrohr auf eine phantastische Art. In meinem Gedächtnis haften die Jahre 2007 und 2008 mit Marc Berthods Slalom- beziehungsweise Riesenslalomsieg. Der Triumph 2007 erlöste eine ganze Skination von der langen Durststrecke nach der Ära von Grünigen, Kälin, Locher, Accola. Erstmals nach 1073 Tagen und 103 sieglosen Rennen gewann wieder ein Schweizer! Auch der Erfolg von Daniel Yule im letzten Jahr hat sich mir eingeprägt.
Und jetzt Geisterrennen …
Es sollte noch zu meiner beruflichen Tätigkeit gehören, das Schaffen im Sport während einer Pandemie zu erfahren. Viele sehr kritische Menschen scheinen mir demütiger. Sie spüren, was der Sport einem gibt und dass nichts selbstverständlich ist. Das ergeht mir gleich. Ich habe so viele schöne Momente erlebt. Mit der Pandemie umzugehen, ohne die Faszination zu verlieren, war eine Herausforderung. Ich bin dankbar, dass auch dies Teil meines Weges ist.
Sie sind seit Langem ein Beobachter des Skiweltcups. Wie sehen Sie ihn in den nächsten Jahren?
Adelboden ist für mich der Massstab. Nebst der spektakulären Strecke finde ich die Kompetenz des Organisationskomitees auf und neben der Piste beispielhaft. Das Publikum hier ist einzigartig. Selbst in Zeiten, als der beste Schweizer auf Platz 20 landete, tat dies dem Skifest keinen Abbruch, weil die Besucher auch dem Franzosen, Deutschen, Amerikaner applaudierten. Sie zeigten: Der Anlass ist ein Volksfest, unabhängig von den Schweizer Resultaten. Das Chuenisbärgli bleibt bissig und anspruchsvoll mit den Übergängen, den Wellen und dem einmaligen Zielhang. Diese Natur, diese Geschwindigkeiten und wirkende Kräfte sowie die immer besseren Fernsehaufnahmen bieten weiterhin ein überragendes Schauspiel!
Und das hat Zukunft?
Da bin ich sicher. Ski alpin regiert den Schneesport. An den Olympischen Spielen generiert er die höchsten Einschaltquoten. Grundsätzlich wird weniger Fernsehen geschaut, aber das Zuschauerinteresse im Ski alpin in den Alpenländern ist sehr hoch.
Sie sind nach wie vor mit Leidenschaft dabei. Fällt der Abschied schwer?
Ich werde im April 65 Jahre alt und habe auf den Tag genau 40 Jahre gearbeitet, erst 10 als Lehrer, dann 30 als Sportjournalist. Ich bin dankbar, dass ich in diesem schnelllebigen Metier mit jungen, dynamischen Leuten so lange mithalten konnte. Nun ist es genug. Der Sport wird stets meine Leidenschaft bleiben. Doch ich bin bereit, meine Perspektiven zu erweitern. Es gibt noch anderes im Leben, als umgeben zu sein von starken, gesunden, gut gebauten, erfolgreichen Menschen. Ich könnte mir vorstellen, Behinderte zu chauffieren. So möchte ich der Welt etwas zurückgeben. Nicht zuletzt durch meine Frau, die in der Psychiatrie tätig ist, lernte ich Bescheidenheit.
Tut der Gedanke nicht ein bisschen weh, nächstes Jahr auf der Zuschauertribüne zu sitzen anstatt bei den Medienprofis?
Im Gegenteil. Als vifer Mensch verabschiede mich aus der Position der Stärke in den Ruhestand. Das war immer mein Wunsch. Ich gehe auf dem Höhepunkt und komme entspannt auf die Fantribüne zurück – mit meiner Familie, ohne Verpflichtungen, ohne Druck, ohne einem Athleten nachsetzen zu müssen. Darauf freue ich mich!
INTERVIEW: YVONNE BALDININI