BLICK IN DIE WELT - Impfdiplomatie – und was dahinter steckt
26.02.2021 KolumneImpfdiplomatie – und was dahinter steckt
Es ist ein Wort, das bis vor wenigen Monaten in weiten Teilen der Welt nur theoretisch existiert hat: Impfdiplomatie. Dieses Wort beschreibt, wie mittels verteilen (und verkaufen) von Impfstoff auch andere Ziele verfolgt werden ...
Impfdiplomatie – und was dahinter steckt
Es ist ein Wort, das bis vor wenigen Monaten in weiten Teilen der Welt nur theoretisch existiert hat: Impfdiplomatie. Dieses Wort beschreibt, wie mittels verteilen (und verkaufen) von Impfstoff auch andere Ziele verfolgt werden können – zum Beispiel, zwei Staaten (einen Impfstoffhersteller und einen Nutzer) auch geostrategisch enger aneinander zu binden.
Ein besonders spannendes Beispiel für Impfdiplomatie zeigt sich derzeit in Serbien. Dieses Land ist gleich aus mehreren Perspektiven interessant: Einerseits liegt es zwar eher am Rand Europas, aber eben doch in Europa. Gerade für Staaten, die mehr Verbündete in Europa haben wollen, ist Serbien darum ein gutes Einfallstor. Andererseits ist in Serbien aufgrund seiner Geschichte (den Zerfall Jugoslawiens und die ethnischen Konflikte zwischen Serben, Kroaten, Albanern und Bosniaken) und Gegenwart fast alles ein politisches Statement.
Item: Serbien hat aktuell eine der höchsten Impfquoten Europas. Und das ist so, weil der Staat gleich aus zwei Lagern mit Impfstoffen versorgt wird: Es gibt den russischen Impfstoff Sputnik V und das chinesische Pendant von Sinovac. Dass die Russen Serbien unterstützen, ist konsequent: Seit jeher betrachtet sich Russland als Schutzmacht der Serben, für die Russen sind die Serben ein slawisches Brudervolk. Und weil Russland ein Interesse daran hat, einen geostrategischen und ideologischen Partner in Europa zu haben, ist da innerslawische Impfhilfe ein gutes Mittel.
Dass auch China sich mit den Serben «verbündet», hat nichts mit slawischen Völkern zu tun. China sucht sich seine Partner nicht nach ideologischen Gesichtspunkten aus, sondern nutzt Möglichkeiten. Und Serbien ist so eine Möglichkeit, weil es in Europa nur wenig Freunde hat. Der Grund dafür ist der Kosovo, eine ehemalige serbische Provinz, die sich 2008 für unabhängig erklärt hat und hauptsächlich von muslimischen Albanern bewohnt wird. Serbien anerkennt die Unabhängigkeit bis heute nicht, im Gegensatz zur grossen Mehrheit der europäischen Staaten. Dieses völkerrechtliche Problem macht es Serbien schwer, in der EU Anschluss zu finden. Und es ist eine Möglichkeit für China, sich in seinem Machtstreben auszubreiten: Auch China anerkennt die Unabhängigkeit des Kosovo nicht und kann sich mit Freundschaftsdiensten wie der Lieferung von Impfstoffen zum Partner Serbiens aufschwingen.
Aus europäischer Perspektive stellt sich nun die Frage, ob man diese Freundschaftsdienste Chinas und Russlands einfach unbeantwortet lassen und somit ein Erstarken dieser Länder in Europa akzeptieren soll – oder selbst auch einem Staat zu Hilfe eilen will, dessen Regierung eine Unabhängigkeitserklärung ignoriert.
Die Vorgänge in Serbien sind in dieser Kolumne zugegebenermassen nur sehr bruchstückhaft beleuchtet, und die Realität ist noch sehr viel komplexer, als sie so schon scheint. Für einmal hilft das aber der Hauptbotschaft, die ich hier vermitteln will: Die Welt der internationalen Diplomatie ist so komplex, dass man sie als Laie kaum durchschauen kann. Und es gibt so viele Abhängigkeiten (Impfstoff und Unabhängigkeit des Kosovo ist dafür ein Beispiel), dass die einfachen Lösungen in aller Regel falsch sind.
Ich ermutige Sie deshalb, für langfädige diplomatische Diskussionen Geduld aufzubringen. Oft hat die Langfädigkeit nämlich ganz konkrete Hintergründe, die in der Öffentlichkeit schwer zu erklären sind, weil sie auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Ich denke da zum Beispiel an die Verhandlungen der Schweiz mit der EU …
SEBASTIAN DÜRST
SEBASTIAN.DUERST@BLUEWIN.CH