Corona wirft eine Tradition über den Haufen
02.02.2021 Kandersteg, SportNächsten Sonntag hätte die 50. Ausgabe des Kandersteger Volkslaufs durchgeführt werden sollen. Statt des Jubiläumsanlasses wird nun eine Challenge durchgeführt. Ein Blick in die Geschichte lohnt sich alleweil.
KATHARINA WITTWER
«1972 schrieben Idealisten, an ...
Nächsten Sonntag hätte die 50. Ausgabe des Kandersteger Volkslaufs durchgeführt werden sollen. Statt des Jubiläumsanlasses wird nun eine Challenge durchgeführt. Ein Blick in die Geschichte lohnt sich alleweil.
KATHARINA WITTWER
«1972 schrieben Idealisten, an deren Spitze standen Edi Schild, Fritz Hari und Oskar Ogi, den ersten Kandersteger Volkslauf aus. Mit Krawatte, Wadenbinden, Rucksack und Hut machten sich Männlein und Weiblein auf den Weg», ist in der Jubiläumsschrift zum 100. Geburtstag des Skiclubs Kandersteg zu lesen. Damals war das Motto «Langläufer leben länger» in fast aller Munde. Die Initianten hatten damit den Nerv der Zeit getroffen. Der Anlass, an dem alle Vereine – ja sogar das ganze Dorf – mithalfen, wurde immer populärer. Wegen der kontinuierlich steigenden Teilnehmerzahl befürchtete man gar, die Startenden hätten auf der Müllermatte keinen Platz mehr. «Während meiner 14 Jahre als OK-Präsident (von Ende der 70er bis Anfang der 90er) nahmen einmal fast 1000 Personen teil», erinnert sich Ueli Künzi. Seit in anderen Destinationen ebenfalls Volkslangläufe eingeführt wurden, schwand das Interesse und die Anzahl Startender pendelte sich bei rund 400 ein. Der «Kandersteger», wie er allgemein genannt wird, ist übrigens der einzige Volkslauf, der bisher jedes Jahr abgehalten werden konnte.
Anstrengende 30 Kilometer
Die einstige Strecke führte über 30 Kilometer und war anspruchsvoll. Kurz nach dem Start war ein steiler Aufstieg durch den Oeschiwald bis hinauf zum Bärentritt zu bewältigen. Anschliessend gings auf der Skipiste Oeschisee-Dorf rasant talwärts, bevor eine Steigung über 150 Meter auf die «Höh» anstand – all das im klassischen Stil.
Wegen Schneemangels musste der Wettbewerb 1990 an den Oeschinensee und kurz darauf dreimal auf Sunnbüel verlegt werden. Der Aufwand war natürlich um vieles grösser und komplizierter. Materialflüge mit einem Heli waren nötig, was für die Organisatoren ins Geld ging. Die Freigabe des Oeschinensees oblag der Seepolizei Spiez. Heinz Wäfler, Künzis Nachfolger als OK-Chef, nahm damals selbst teil. «Die flache Seeoberfläche liess uns Läufern keine Möglichkeit zur Erholung. Damit niemand mogelte, mussten wir nach jeder Runde ein farbiges Turnbändeli umhängen.» Erschwerend kam hinzu, dass der Skating-Stil langsam in Mode kam. Fortschrittliche Läufer skateten vorerst mit bloss einem Ski und beschädigten dadurch die Spur.
Die Distanzen des Volkslaufs wurden mehrmals angepasst. In einigen Jahren karrte man den wenigen Schnee zusammen, um zumindest eine verkürzte Strecke aufbereiten zu können. Solange der klassische Stil angesagt war, wollte man auch dem Nachwuchs eine Chance geben und trug nebst dem 25er- einen 10-km-Lauf aus. Bald kam der Wunsch der Teilnehmenden und die Auflage des Hauptsponsors, auch Skater zuzulassen. Gleichzeitig wurde auf die Halbmarathondistanz (21 km) gewechselt.
Mit Weihnachtsbäumen dekoriert
Unter Heinz Wäflers Ägide wurde ein Frauenlauf ins Leben gerufen – inklusive Kinderhort. «Diese Familiensamstage stiessen auf grosses Echo», berichtet er. Um den Start- und Zielraum hübsch zu gestalten, wurden ausrangierte Weihnachtsbäume aufgestellt und mit Bändeli in den Gemeindefarben geschmückt. Nach Gebrauch wurden die Tännchen biologisch vernichtet: Pferdehalter verfütterten sie ihren Tieren.
Seit Urs Niedhart das OK präsidiert, wurden verschiedene Neuerungen eingeführt. «Wir wollten ein Wochenende ganz im Zeichen des Langlaufes lancieren – etwas für «Angefressene» und für Hobbysportler. 2003 fand der erste Nordic Day statt. Dieser Team-Anlass erfreut sich grosser Beliebtheit, zumal nebst der Zeit auch die Originalität der Verkleidung gewertet wird. Zehn Jahre später wurde die Kategorie Pick & Pack eingeführt. Auch hier geht es primär um Plausch. An verschiedenen Stationen können die Teilnehmenden eine Überraschung in ihren Rucksack packen. Für die Kleinsten gibt es seit 2016 den Craft-Kids-Cup. Der Langlaufkurs am Samstagmorgen hat sich längst zur Institution gemausert. Dieses «Päckli» lockt alljährlich am ersten Wochenende im Februar über 1000 Personen ins Blüemlisalpdorf.
In der Hochblüte des «Kanderstegers» bildeten sich am Sonntagmorgen auf der Zufahrtsstrasse lange Kolonnen. «Einmal rief mich ein Polizist aus Frutigen an und meldete den Verkehrsstau. Weil es viele angemeldete TeilnehmerInnen nicht geschafft hätten, rechtzeitig vor Ort zu sein, verschoben wir die Startzeit kurzerhand», erinnert sich Heinz Wäfler.
Aus dem Nähkästchen
Oft nahm ein gewisser Otto teil. Obschon er nicht unbedingt sportlich war, machte er mit grosser Freude mit. In der Vorwoche logierte er in einem Hotel, trainierte täglich und sass abends in den Restaurants, in denen Ländlermusik gespielt wurde. Da er die ganze Strecke kaum geschafft hätte, leiteten ihn die Streckenwärter an verschiedenen Abzweigungen um, sodass er unwissentlich in den Genuss mehrerer Abkürzungen kam. Auf diese Weise schaffte er den Zieleinlauf mit der Masse und war stets stolz auf sich.
Doch nicht alle Erinnerungen sind schön: Urs Niedhart sitzt der Schrecken noch heute in den Knochen, wenn er an jenen Moment denkt, an dem ein Teilnehmer auf der Strecke einen Herzstillstand erlitt. Andere LäuferInnen, darunter ein Arzt, gaben ihr Rennen auf und leisteten Erste Hilfe bis zum Eintreffen der Samariter und der REGA. Es war ungewiss, ob der Patient überleben würde. «Da hatten wir schon ein mulmiges Gefühl!» Das Ganze ging jedoch glimpflich aus. Im drauffolgenden Jahr lud man ihn zum Pick-and-Pack-Lauf ein. «An der Rangverkündigung übergaben wir den einstigen Helfern ein Präsent.» Ueli Künzi erzählt gern von folgendem Ereignis: Von Samstag auf Sonntag schneite es ununterbrochen, und die Streckenbauer räumten fast die ganze Nacht. Eine gute Seele war mit der «Schneemaus» – dem Pistengerät der Oeschinenbahn – zur Unterstützung ins Tal gefahren. «Als ich bei Tagesanbruch zur extra für den Anlass gebauten Holzbrücke über den Irfig kam, ragten die Bretter gen Himmel, und in der Mitte des Bachs stand die ‹Schneemaus›. Mithilfe von Manneskraft und vielen PS gelang es, das Fahrzeug aus der misslichen Lage zu befreien. Flugs wurden neue Bretter gelegt und Schnee darüber verteilt. Bis die ersten Läufer die Stelle passierten, war wieder alles tipptopp hergerichtet.»
«Ich wäre gern zum 50. Mal gelaufen»
Der 74-Jährige Christian Egger war schon als Bub leidenschaftlich gerne auf den schmalen Latten unterwegs. Er nahm an allen Volksläufen in der Schweiz und an den grossen in Europa teil. So absolvierte er ungefähr 20-mal den Engadiner, mehrmals den Wasalauf in Schweden und den Finlandia in Finnland. Als Einziger hat er auch den «Kandersteger» nie ausgelassen. «Schade, dass ich dieses Jahr das halbe Hundert nicht komplettieren kann», bedauert der Einheimische. Vor wenigen Jahren wurde er vom SC Kandersteg zum Ehrenteilnehmer ernannt. Das bedeutet, dass er bis zum Lebensende gratis starten darf. Sofern es seine Gesundheit erlaubt, wird Egger von dieser Ehre noch lange profitieren, denn er ist so oft wie möglich auf den Loipen unterwegs. In jüngeren Jahren hat er Langlauf unterrichtet. Die Technik, mit möglichst wenig Kraftaufwand möglichst viel herauszuholen, fasziniert ihn.
Eine Alternative zum abgesagten Event
Am Samstag startet die Nordic Days Challenge in Kandersteg. Vom 6. bis zum 14. Februar können sich Langlaufbegeisterte selbst herausfordern und die aus geschilderte Strecke in A ngriff nehmen.
«Es war dem Organisationskomitee der Kandersteger Nordic Days schon lange klar, dass ihre Jubiläumsausgabe aufgrund der Pandemie wohl in einem anderen Rahmen stattfinden muss. Eine neue Idee musste her», schreiben die Veranstalter in einer Medienmitteilung. Mit der Nordic Days Challenge sei der Langlaufevent gesichert. Wer sich in Kandersteg auf die Loipe wage, sei zudem Teil einer schweizweiten Aktion, der Swiss Loppet Challenge von Swiss-Ski. Auf der ausgeschilderten, acht Kilometer langen Strecke im Kandersteger Loipennetz könnten Sportler-Innen gegen sich selbst antreten und dabei die wunderbare Bergwelt geniessen. «Denn der Genuss», so die OrganisatorInnen, «und die Freude am Langlaufen soll auch bei der 50. Austragung der Nordic Days im Vordergrund stehen.»
PRESSEDIENST TOURISMUSORGANISATION ADELBODEN-LENK-KANDERSTEG (TALK AG)
Die Anmeldung für die Challenge erfolgt online, der Zeitmess-Chip und der Erinnerungspreis werden während der Woche im Tourist Center Kandersteg oder direkt bei der Loipe überreicht. Weitere Informationen zur Callenge unter www.frutiglaender.ch/web-links.html