FEDERLESIS - Letschti Rundi
19.02.2021 KolumneLetschti Rundi
Blingbling! «Neue Nachricht» steht auf dem Display des Mobiltelefons. Mit klammen Fingern gebe ich den Code ein. Mein Sohn Zwilling A und ich stapfen nämlich gerade durch den kniehohen Schnee. Na ja, das tönt jetzt vielleicht nach sehr viel Schnee, aber ...
Letschti Rundi
Blingbling! «Neue Nachricht» steht auf dem Display des Mobiltelefons. Mit klammen Fingern gebe ich den Code ein. Mein Sohn Zwilling A und ich stapfen nämlich gerade durch den kniehohen Schnee. Na ja, das tönt jetzt vielleicht nach sehr viel Schnee, aber dieses Stimmungsbild ist mit Vorsicht zu geniessen – meine Beine sind nicht gerade lang geraten. Aber mein Vater sagte immer, als Gebirgsfüsilier im Militär sei er dann bergauf froh gewesen um seine kurzen Beine. Leider habe ich keine militärische Laufbahn eingeschlagen, und so hält sich meine Begeisterung in Grenzen. Aber ich schweife ab … Wir stapfen also durch den langersehnten Schnee und erfreuen uns am schönen Wetter. Nichts vom drohenden Corona-Damoklesschwert über uns ahnend, das der Sage nach nur an einem Pferdehaar oder in unserem Fall an einem positiven Kontakt oder Testergebnis baumelt.
«Blingbling!», werde ich hartnäckig erinnert. Eine mir unbekannte Nummer. Und dann die Nachricht, welche das Rosshaar reissen lässt:
«Guten Tag Zwilling A. Bitte begeben Sie sich nach Hause und bleiben Sie in Quarantäne … Es ist möglich, dass Sie sich infiziert haben. Covid-19-Contact-Tracing Bern.» Das Wort mit «S» zischt über meine Lippen – zweimal, dreimal – und nein, es ist nicht «Stuhlgang». Was denn das jetzt heisse, fragt mein Sohn. Dass ich als Erstes eine unbändige Lust verspüre, unseren Spaziergang zu einer Tageswanderung mutieren zu lassen, eine sogenannte «Frischluftepisodenmutation». Aber nein, gutbürgerlich erzogen, schleppen wir uns nach Hause.
Der Draht läuft heiss, ja was sage ich – er glüht! Die Familie, der Klassenlehrer, Nachbarn, leidende Mitquarantänemütter in der gleichen Situation, Trainer, Trainingsgruppenfahrer, s'Grosi und die Schwiegermutter – alle wollen etwas wissen. Vor allem der geduldige Herr vom Kantonsarztamt will versichert haben, dass dem Junior ein eigenes Zimmer mit geschlossener Türe, Bett, Tisch, Stuhl und eigenem Wäschekorb zur Verfügung steht, in dem er die nächsten Tage in altersentsprechender Abgeschiedenheit wohnen darf. Im Zimmer meine ich, nicht im Wäschekorb. Tönt irgendwie nicht nach Kinderzimmer, sondern nach Zelle …
Diese Quarantäne zieht Kreise: Der welsche Kindsvater will ab sofort für zehn Tage in den Wohnwagen ziehen, «Schliesslisch muss jemand achbeiten!» Die Tochter – im rebellischen Zeitalter der Pubertät unterwegs – will auch in Quarantäne, damit sie endlich ihre Ruhe habe, das Grosi sorgt sich um das arme Büebi und schnürt daheim die ersten Fresspäckli, die Nachbarskinder erfinden ein Quarantänespiel für den Zimmer insassen, die Gotte deponiert Gipfeli und Hörbücher …
Ich kreise auch: über neu erstellten Schulseiten und elektronischen Wolken zum Beispiel. Über Fachzeitschriften, Internetseiten und den Gerüchten, was dieses Virus mit unseren Kindern anstellt.
Auch in unserem Quartier hält sich ein solches Gerücht hartnäckig: Nämlich, dass eine gewisse Mutter bei jeder unbekannten Nummer auf dem Display ihres Handys mit Mundschutz und Schutzhandschuhen eine Rundi durchs Quartier secklet, bevor sie sich die Nachricht ansieht – könnte nämlich ihre letzte Runde sein, jedenfalls für zehn Tage.
ANDREA BALMER-BEETSCHEN
ANDREA.BEETSCHEN@BLUEWIN.CH