Vier Jahrzehnte im Traumjob
12.02.2021 Porträt, Aeschi, AeschiriedAls Melkbarkeitsprüfer und Viehzüchter verfügt Ueli Berger aus Aeschi über ein enormes Wissen. Auf 43 Jahre zurückblickend zeigt er sich dankbar, schätzt die aktuelle Situation aber auch kritisch ein.
PETER ROTHACHER
Ueli Berger aus Aeschi spricht aus Erfahrung, ...
Als Melkbarkeitsprüfer und Viehzüchter verfügt Ueli Berger aus Aeschi über ein enormes Wissen. Auf 43 Jahre zurückblickend zeigt er sich dankbar, schätzt die aktuelle Situation aber auch kritisch ein.
PETER ROTHACHER
Ueli Berger aus Aeschi spricht aus Erfahrung, wenn er sagt: «In der Viehzucht wird einem nichts geschenkt.» Doch sein ernster Gesichtsausdruck weicht sogleich einem Lächeln, als er anfügt: «Ein gutes Gelingen bringt aber enorme Glücksgefühle, Stolz und auch finanziellen Ertrag.» Berger muss es wissen, denn während 43 Jahren war er als Melkbarkeitsprüfer unterwegs. In dieser Funktion hat er auf rund 30 000 Betrieben um die 85 000 Kühe gemolken und die jeweiligen Ergebnisse übermittelt. Diese imposanten Zahlen sind belegt, weil der kürzlich Pensionierte als Prüfexperte stets mit einem Verbandsfahrzeug des damaligen Schweizer Fleckviehzuchtverbands und später der heutigen Swissherdbook Zollikofen unterwegs war. Per Land Rover hat Ueli Berger laut all diesen Rapporten um die 840 000 Kilometer zurückgelegt. Sein Wirkungsgebiet umfasste die Zentralschweiz, das Berner Oberland und das Oberwallis.
Das Frutigland stellte vier Experten
Als 22-Jähriger ist Ueli Berger im Dezember 1977 mit dem Nebenerwerbsjob als Melkbarkeitsprüfer gestartet. «Das Team umfasste Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre acht Leute. Ausser mir stammten mit Hans Rösti, Ueli Stoller und Fritz von Känel noch drei weitere Prüfer aus dem Frutigland.» Diese seien später ausgestiegen, weil sie existenzsichernde Betriebe bewirtschaften konnten. Auf Ueli Bergers Hof standen damals 10 Kühe, später 20 und ebenso viel Jungvieh. «Ich war auf den Zusatzverdienst der 60-Prozent-Stelle angewiesen. Während meiner Abwesenheit betreuten meine Frau Brigitte und zunehmend auch unsere Kinder den Betrieb.»
Vor acht Jahren haben Bergers den mittlerweile ebenfalls existenzsichernden Betrieb ihrem Sohn Christian verkauft. «Ich helfe jetzt wieder vermehrt mit», sagt der Senior. Aber trotz der Pensionierung – seine Kumpels aus der Anfangszeit haben ihn im vergangenen November mit einer besonderen Abschiedsaktion (siehe Bild) überrascht – wird Ueli Berger bei Bedarf weiterhin als Melkbarkeitsprüfer im Berner Oberland unterwegs sein.
Wichtig für Spitzentiere
Vor der Jahrhundertwende haben Bund und Kantone die Beiträge für die Tierzuchtförderung gekürzt. Die mehrheitlich freiwilligen Prüfungen wurden für die Züchter deshalb kostenpflichtig. «Der einsetzende Rückgang hatte zur Folge, dass auch die Zahl der Melkbarkeitsprüfer drastisch gesenkt wurde», erklärt Berger. Während in jener Zeit 24 Mitarbeiter unterwegs waren, sind es heute noch vier Experten, die jährlich um die 7000 Kühe prüfen.»
Die Melkbarkeitsprüfung gibt Auskunft über den Milchfluss und dient der Ermittlung des generellen Melkverhaltens einer Kuh. Dieses wird weitervererbt und ist für die Zucht von Spitzentieren entsprechend wichtig. Obligatorisch ist die Prüfung darum für Mütter von Zuchtstieren und deren erste 20 Töchter der Rassen Simmental und Swiss Fleckvieh. Aber je nach Zuchtverband müssen sich auch schöne Kühe, die an Beständeschauen die maximale Punktzahl erreichen wollen, der Prüfung unterziehen.
Vom Handmelken zum Roboter
In den Anfängen sei rund die Hälfte der zu prüfenden Kühe noch von Hand gemolken worden, berichtet Berger. Solche Kühe habe man teilweise in Stationen für Munimütter zusammengeführt, um sie vor der Prüfung an die Melkmaschine zu gewöhnen. «Seither hat sich vieles verändert: Die Zufahrtswege sind besser geworden, die Stallungen moderner, und für die Kühe ist das Maschinenmelken normal. Grosse Betriebe verfügen heute gar über ein Melkkarussell oder Melkroboter.»
Als speziell bezeichnet der Aeschiner die Erfahrung mit der Corona-Pandemie: «Am 16. März mussten auch wir die Prüfbesuche für sechs Wochen einstellen. Im Sommer haben wir das dann nachgeholt, und jetzt ist auch der Umgang mit Maske und Desinfektionsmittel Standard.»
Beim Rückblick auf die vier Jahrzehnte seiner Tätigkeit spricht Ueli Berger von einem «Traumjob». Er habe viele unterschiedliche Gegenden und Höfe besucht, dabei über Mensch, Tier und Betriebssysteme viel gelernt und gesehen, welche Stiere zum Zuchterfolg führten. Der deutliche zahlenmässige Rückgang der Betrieb habe auch weniger Tiere zur Folge. «Aber gutes Fleisch ist gefragt – Milch gibt es genug», sagt der 65-Jährige. Original Simmentaler, Original Braunvieh sowie Swiss Fleckvieh würden beides bieten und seien prädestiniert für das Berggebiet.
Ein Zimmer voller Trophäen
Viele Fotos, Schleifen, Glocken und hölzerne Trophäen zeugen davon, dass Bergers auch selbst viele Zuchterfolge vorweisen können. Besonders stolz ist Ueli auf die Kuh Gitane, eine Pickel-Tochter, die im Jahr 2000 zur Miss BEA gekürt worden ist. «Und auch die folgenden vier Generationen haben – zuletzt an der Swiss Expo – Titel gewonnen», schwärmt der Züchter.
Der legendäre Zuchtstier Pickel, dessen Spermadosen für die künstliche Besamung immer noch zu haben sind, gilt selbst auf internationaler Ebene als absolute Ausnahmeerscheinung. «Die Spermareserven solcher Stiere kann man für die Besitzer durchaus als Goldgrube bezeichnen», bestätigt Ueli Berger. «Als Vater von bereits 150 000 Kälbern hat Pickel die Zucht weltweit beeinflusst.»
Diskussion um hornlose Kühe
Auf Bergers Betrieb werden die Tiere kurz nach ihrer Geburt enthornt. Ein Stier namens Gin Tonic – aus der fünften Generation von Kuh Gitane – züchtet aber bereits genetisch hornlos. «Der Stier ist derzeit Bestandteil einer Waadtländer Herde, wo er im Natursprung eingesetzt wird», erklärt Ueli. Bei den heutigen Laufställen würden Kühe ohne Hörner durchaus Sinn machen. Enthornungen sollten aber stets durch den Tierarzt erfolgen.
Im Zuge der Klimaerwärmung – aber auch wegen Pestizid- und Antibiotikaeinsätzen sowie veränderter Essgewohnheiten – steht die Landwirtschaft zunehmend in der Kritik. «Nicht zuletzt dank guter Schulung des Nachwuchses verfügen wir heute über viele vorzüglich geführte Betriebe», widerspricht Ueli Berger den aus seiner Sicht übertriebenen Vorwürfen. «Zudem erzeugen die Direktzahlungen, Kontrollen und Abhängigkeiten auf Kosten der Lebensqualität oftmals einen Druck, dem einige Landwirte kaum mehr gewachsen sind.»
Grosse Differenzen beim Milchpreis
Ueli Berger hat bei seiner Tätigkeit Einblick in verschiedene Wirtschaftszweige erhalten. «Wenn Milchproduzenten in Saxeten beispielsweise für ihr per Tankfahrzeug abgeholtes Produkt bloss um die 40 Rappen pro Kilogramm erhalten, ist das schon fast erbärmlich. Ein Betrieb im Walliser Ort Visperterminen beweist dagegen, dass mit anerkannten Käsespezialitäten ein Milchpreis von 1 Franken pro Kilo realisiert werden kann.» Das zeige, dass mit einer florierenden Dorfkäserei nach wie vor – und zwar auf ökologisch sinnvolle Art – die beste Wertschöpfung erzielt werden könne.