«Es geht hier nicht ums Geld»
26.03.2021 GesundheitDie Hausärzte stehen in den Startlöchern: Voraussichtlich ab Mitte April dürfen sie ihre Patienten gegen Covid-19 impfen. Die meisten Praxen im Tal haben sich als Impforte angemeldet – obwohl der Aufwand gross und die Vergütung nicht einmal kostendeckend ist.
BIANCA ...
Die Hausärzte stehen in den Startlöchern: Voraussichtlich ab Mitte April dürfen sie ihre Patienten gegen Covid-19 impfen. Die meisten Praxen im Tal haben sich als Impforte angemeldet – obwohl der Aufwand gross und die Vergütung nicht einmal kostendeckend ist.
BIANCA HÜSING
Der Kanton Bern äussert sich bislang eher vage, was die konkreten Schritte seiner Impfstrategie angeht. Kein Wunder: Welche Personengruppe wann und wo geimpft wird, hängt schliesslich von der Menge verfügbarer Vakzine ab – und die war von Anfang an knapp bemessen. In den vergangenen Wochen ist jedoch etwas Bewegung in die Sache gekommen. Dank neuer Lieferungen konnte der Kanton die nächste Impfgruppe zur Terminvereinbarung freischalten: Chronisch Kranke mit «höchstem Risiko ohne Altersbeschränkung». Auch die Liste möglicher Impforte soll nun erweitert werden. Letzte Woche wurde den Hausärzten mitgeteilt, dass sie womöglich ab Mitte April impfen können – vorausgesetzt natürlich, dass es dann genug Impfstoff gibt. Gerade für ältere Patienten im Tal dürfte dies eine Erleichterung sein. Den Ärzten geht es ähnlich. Obwohl sie an den Impfungen nichts verdienen, nutzen die meisten die Chance, ihre Patienten vor Ort zu immunisieren.
Massenimpfung in Kandersteg
Um als Impforte registriert zu werden, müssen sich die Arztpraxen im Vorfeld auf der kantonalen Onlineplattform VacMe anmelden. Reto König und Walter Bleisch (beide Adelboden), Steffen Christmann, Martin Rüesch und Christian Stadlin (alle Frutigen), Hendrik Pilz (Kandersteg), Giovanna Perren (Krattigen) und Christoph Trachsel (Reichenbach) haben dies bereits getan oder noch vor.*
Hendrik Pilz hat in Zuammenarbeit mit der Gemeinde bereits ein eigenes Impfkonzept für Kandersteg ausgearbeitet. «Falls wir rechtzeitig genügend Dosen bekommen, führen wir möglichst noch im April eine Massenimpfung durch.» Pilz stellt sich selbst, sein Personal und medizinisches Material auf eigene Kosten zur Verfügung, die Gemeinde steuert die Räumlichkeiten bei. Auch werden, so hofft er, freiwillige Helfer im Einsatz stehen. «Würden wir nur in der Praxis impfen, kämen wir nicht voran», ist Pilz überzeugt. In seinen Räumlichkeiten könnte er maximal 20 Personen pro Tag immunisieren.
Auch in Reichenbach wird über eine Art Gemeinde-Impfzentrum diskutiert. «Dies wäre wohl der effizienteste Weg, falls wir mit vielen Dosen beliefert werden – was aber zu Beginn nicht der Fall sein wird», glaubt Christoph Trachsel von der Hausarztpraxis Ogimatte. Durch eine zentrale Impfung könne man verhindern, dass der normale Praxisalltag beeinträchtigt wird. Ob es dazu komme, sei allerdings noch ungewiss. Reichenbachs Gemeindeschreiber Simon Hari bestätigt, dass Kontakt zu den Ärzten besteht und verschiedene Ideen geprüft werden.
Die übrigen Frutigländer Ärzte werden die Impfungen voraussichtlich in ihren Praxen durchführen – so auch Steffen Christmann (Frutigen). «Wir bestellen die Patienten nachmittags im 20-Minuten-Abstand ein. Nach der Immunisierung müssen wir sie dann noch mindestens 15 Minuten lang überwachen.» Auch Reto König und seine Kollegen impfen in ihrer Adelbodner Praxis: «Die logistische Umsetzung wird möglich sein, weil das ganze Team sich mehr als üblich einsetzt und die Räumlichkeiten vorhanden sind.»
Beitrag zur Bekämfpung der Pandemie
Wie in Königs Aussage bereits anklingt, ist der Aufwand für die Corona-Imfpung beträchtlich: die Registrierung und Bestellungen über VacMe, die Ungewissheit, ob und wann der Impfstoff tatsächlich eintrifft, die Lagerung des sensiblen Materials, für die ein medizinischer Kühlschrank erforderlich ist und schliesslich die Pflicht, die Patienten nach der Impfung zu beaufsichtigen. Auch können die Impfwilligen nicht einfach in die Praxis kommen, sondern müssen sich zuvor über VacMe anmelden. Theoretisch können dies auch die Ärzte übernehmen, wie es im Newsletter des Kantonsarztamts heisst.
Diesem organisatorischen Aufwand steht eine vergleichsweise bescheidene Vergütung gegenüber. Ursprünglich sollten die Hausärzte 14.50 Franken pro Impfung erhalten. Nach Protesten aus der Branche ist der Betrag zwar auf 24.50 Franken erhöht worden. Doch auch das scheint nicht einmal zu reichen, die anfallenden Kosten zu decken. «Für die Immunisierung, Registrierung und vor allem für die Überwachung der Patienten braucht es viel Platz, Personal und Zeit. Das deckt der Tarif so nicht ab. Trotzdem ist es uns wichtig, unsere Patienten impfen zu können», sagt Silvio Perren, der in der Thunersee Praxis Krattigen fürs Betriebswirtschaftliche zuständig ist.
«Bei diesem Tarif müssen wir fast drauflegen», bestätigt der Adelbodner Arzt Walter Bleisch. «Aber es geht hier auch nicht ums Geld.» Reto König sieht das ähnlich: «Die Entschädigung spielt für uns keine Rolle. Wir sind bereit, unseren Beitrag (finanziell und personell) zur Bewältigung der Pandemie zu leisten.» Im Gegensatz zu anderen Branchen sei seine Berufsgruppe schliesslich kaum von den Auswirkungen der Krise betroffen (siehe Kasten). Auch der Frutiger Arzt Steffen Christmann hat sich über die Entlöhnung keine Gedanken gemacht. «Ich bin überzeugt, dass die Impfung wichtig ist, und spreche auch mit fast allen Patienten darüber. Wir wollen dazu beitragen, dass möglichst viele Menschen in möglichst kurzer Zeit geimpft werden.» Dem pflichtet Christoph Trachsel aus Reichenbach bei, wenn er sagt: «Die beste Strategie zur Bekämpfung der Pandemie ist die Immunisierung möglichst vieler Menschen.»
Ältere Patienten bevorzugen den Hausarzt
Möglichst viele Impfungen in möglichst kurzer Zeit – ob der Kanton für dieses Ziel die richtige Strategie gewählt hat, wird durchaus bezweifelt. Für Reto König ist zum Beispiel nicht nachvollziehbar, warum er und seine Berufskollegen erst so spät zum Zuge kommen: «Für Adelboden wären die Impfungen viel schneller, gezielter und massiv günstiger gewesen, wenn sie über die Hausärzte gelaufen wären», ist er überzeugt. Dies gelte insbesondere in der ersten Phase, in der die ältere und weniger mobile Bevölkerung geimpft werde. Der Einsatz grosser Impfzentren sei dann sinnvoll, wenn die gesunden und mobilen Menschen an der Reihe sind. Kanderstegs Hausarzt Hendrik Pilz stimmt zu: «Gerade die Priorität-A-Patienten wollen explizit von ihren Hausärzten geimpft werden.» Schon jetzt habe er eine Liste von etwa 200 Impfwilligen, die für die Spritze nicht nach Thun oder Interlaken fahren wollen oder können. Die Thunersee Praxis Krattigen macht ähnliche Erfahrungen: «Wir haben viele ältere Patienten, die nicht geimpft würden, wenn wir dies nicht anböten. Der Weg wäre für sie sonst zu kompliziert und beschwerlich», so Silvio Perren. Steffen Christmann (Frutigen) ist ebenfalls überzeugt, dass er als Hausarzt mit seinem Impfangebot mehr ältere Patienten anspricht als die Zentren.
Auch was die Kommunikation des Kantons angeht, gibt es offenbar noch Luft nach oben. Giovanna Perren, die erst seit Anfang des Jahres in Krattigen praktiziert, hatte zuvor im Aargau «eine etwas andere Erfahrung gemacht». Dort hätten seit Beginn der Pandemie mindestens zwei-wöchentliche Onlinemeetings stattgefunden, während man im Kanton Bern hin und wieder eine E-Mail bekomme. «Wir waren uns nicht sicher, ob wir überhaupt Teil des Impfkonzepts sind – bis wir diese Woche von der Gemeinde informiert wurden, dass wir voraussichtlich ab April impfen dürfen.» Gleichwohl betonen Giovanna und Silvio Perren, dass sie ansonsten bezüglich Bewilligungen und Hilfestellung für die Eröffnung ihrer Praxis immer rasch bedient worden seien – trotz Corona.
* Die Praxen von Michael Stellberg (Aeschi) und Mirela Mondescu (Reichenbach) wollten explizit keine Auskunft geben. Auch vonseiten der Spitäler fmi AG war nichts darüber zu erfahren, ob und wie ihre Hausärzte sich angemeldet haben.
Mehr Arbeit, weniger Lohn? Auswirkungen der Krise im Praxisalltag
Selten dominiert das Thema Gesundheit so sehr den Alltag der Menschen wie zu Zeiten einer Pandemie. Gut für die Ärzte, könnte man meinen: Sie müssten nun alle Hände voll zu haben. Diese landläufige Einschätzung trifft allerdings nur bedingt zu. Zwar berichten die meisten Hausärzte von einem administrativen Mehraufwand. Doch der besteht vor allem in unentgeltlichen Telefon- oder Mailberatungen. Täglich gehen Anfragen im Zusammenhang mit Corona ein – sei es zur Impfung, zum Test oder zur Quarantäne. «Gesamthaft hatten wir durch Administration und Beratungen – oft ohne Verrechnung – mehr Arbeitszeit für weniger Lohn», berichtet etwa der Adelbodner Arzt Reto König.
Im Gegenzug gab es kaum ausländische Touristen zu behandeln – was im einen Ort mehr, im anderen weniger stark ins Gewicht gefallen ist. In der Praxis des Kandersteger Hausarztes Hendrik Pilz machen sich vor allem die ausbleibenden Scouts bemerkbar: «Normalerweise sind während der Sommermonate 2000 Pfadfinder im Dorf. Letztes Jahr waren es wohl nur 180.» Pilz musste entsprechend hohe Umsatzeinbussen hinnehmen. Auch beobachte er eine gewisse Hemmung bei seinen Patienten, während der Pandemie eine Arztpraxis aufzusuchen.
Steffen Christmanns Frutiger Praxis hatte während des ersten Lockdowns und im September nach eigenen Angaben «ein grosses Loch» zu verzeichnen. «Wir waren zeitweise gezwungen, Teile des Teams auf Kurzarbeit umzustellen.» Aktuell habe man jedoch wieder gut zu tun, unter anderem wegen Erkältungen und Corona-Tests.
Was die Krankheitsverläufe von Covid-19 angeht, machen die Ärzte unterschiedliche Erfahrungen. So betont Walter Bleisch (Adelboden), dass nur ein einziger seiner Patienten hospitalisiert worden sei. Und auch wenn es im Altersheim, für das er zuständig ist, eine grosse Ansteckungswelle gegeben habe: «Allen, die Covid-19 überstanden haben, geht es heute gut. Bei den Patienten, die es nicht geschafft haben, waren Vorerkrankungen im Spiel.» In der Thunersee Praxis Krattigen werden dagegen mehrere Fälle des sogenannten Long-Covid-Syndroms behandelt. «Diese Patienten sind Monate nach ihrer Ansteckung immer noch nicht fit», erklärt Silvio Perren.
HÜS