AUF AUGENHÖHE - Die Krux mit der Burka
05.03.2021 KolumneDie Krux mit der Burka
Wie viel Verhüllung braucht die Schweiz? Am nächsten Wochenende werden wir erfahren, ob Volk und Stände die Initiative «Ja zum Verhüllungsverbot» annehmen oder ablehnen. Die vorgängigen Diskussionen über Burka und Niqab erinnerten mich an ...
Die Krux mit der Burka
Wie viel Verhüllung braucht die Schweiz? Am nächsten Wochenende werden wir erfahren, ob Volk und Stände die Initiative «Ja zum Verhüllungsverbot» annehmen oder ablehnen. Die vorgängigen Diskussionen über Burka und Niqab erinnerten mich an einen Sonntagsausflug an den Blausee vor einigen Jahren. Alleine waren wir nicht, zahlreiche TouristInnen waren schon da. Die meisten schienen arabischer Herkunft respektive muslimischen Glaubens zu sein, was unter anderem an den schwarzen, wallenden Gewändern der Frauen zu erkennen war. Viele von ihnen hatten nicht nur ihren Körper, sondern auch ihr Gesicht verhüllt. In meinem Innern brodelten Emotionen. Am liebsten hätte ich den Frauen die dunklen Stoffbahnen vom Körper gerissen und sie den Männern übergeworfen. Aber das blieb natürlich ein Wunschtraum meiner Fantasie.
Trotz arabischer Überbevölkerung fanden wir Platz auf der gedeckten Restaurantterrasse. Wolkenberge kündigten Regen an. Unanständig, aber dank Sonnenbrille doch ein bisschen diskret, konnte ich den Blick kaum von einer Szene nebenan abwenden. Eine Schar lebhafter Kinder, Männer in modischer Kleidung und die erwähnten Vermummten sassen eng um zwei oder drei Terrassentische. Ihre Stimmung schien ausgelassen, munter und fröhlich. Die ersten Regentropfen fielen. In die Gruppe kam Bewegung. Alle sprangen auf, viele stellten sich in den Regen. Aus den Hosentaschen der Unverhüllten und aus den unergründlichen Tiefen der wallenden dunklen Gewänder kamen Smartphones zum Vorschein. Ich staunte: «Die Liebsten im Regen» oder «das Selfie im Regen» schienen die ultimativen Ferienfotos zu sein. Als der Tumult vorbei war, wurden Desserts serviert. Ich erwartete, dass die Schleier nun gelüftet würden. Erstaunlicherweise jedoch fanden Bananensplit und Meringue-Glace dank ultrakurzem und minimem Anheben des Stoffes ohne Entblössung der Gesichter den Weg zu ihren Zieldestinationen.
Angenommen, die Schweiz stimmt «JA» – was ändert sich für muslimische Touristinnen? Ich wage zu behaupten: sehr wenig. Die Europareise findet trotzdem statt, bei einigen vielleicht ohne ein paar Tage in Luzern oder Interlaken. Diejenigen, die trotzdem in die Schweiz kommen, zeigen für ein paar Tage der Öffentlichkeit ihr Gesicht. Doch wie fühlen sie sich? Befreit oder entblösst? Dankbar oder ärgerlich? Oder ist es einfach eine Fremdbestimmung mehr, die stoisch hingenommen wird? Die Initianten werben mit «Freiheit und Gleichberechtigung» für die Frau. Doch die Initiative kommt aus einer Ecke unserer Politszene, der ich edle Frauenfreundlichkeit nicht so recht abkaufe, eher einen Hang zur Fremdenfeindlichkeit. Argwöhnisch fragt eine Stimme in meinem Innern, ob nicht eigentlich die Initiative etwas verschleiert. Und im Ausland? In vielen muslimisch geprägten Ländern werden Frauenrechte leider heute noch mit Füssen getreten. Humanitäre Projekte – nicht ein Verbot in der Schweiz – helfen, die Situation der Betroffenen zu verbessern, das Selbstbewusstsein der Frauen zu stärken und ihnen den Weg zu mehr Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und Freiheit zu ebnen.
Ich habe voller Überzeugung ein «NEIN» in die Urne respektive ins Couvert für die briefliche Stimmabgabe gelegt. Es dient als Symbol für den Wunsch eines Zusammenlebens aller Menschen auf Augenhöhe und in Selbstbestimmung – gleich welchem Gender, welcher Nationalität oder Kultur.
BARBARA STEINER-SUTER
AUFAUGENHOEHE@OUTLOOK.COM
Die Autorin, seit vielen Jahren freie Mitarbeiterin des «Frutigländers», tritt neu auch als Kolumnistin in Erscheinung. Unter dem Obertitel «Auf Augenhöhe» wird die Frutigerin mehrmals im Jahr Themen aufgreifen, die sie selbst und viele andere bewegen.