Corona-Strategie: Was wurde eigentlich aus Schweden?
16.03.2021 CoronavirusPANDEMIE-BEWÄLTIGUNG Von den Kritikern der Corona-Massnahmen wurde das skandinavische Land lange als Musterbeispiel herumgereicht: «Seht her, es geht auch ohne Lockdown!» War der schwedische Weg der bessere?
MARK POLLMEIER
Kurz vor dem Weihnachtsfest brachte der ...
PANDEMIE-BEWÄLTIGUNG Von den Kritikern der Corona-Massnahmen wurde das skandinavische Land lange als Musterbeispiel herumgereicht: «Seht her, es geht auch ohne Lockdown!» War der schwedische Weg der bessere?
MARK POLLMEIER
Kurz vor dem Weihnachtsfest brachte der schwedische König Carl XVI. Gustaf die Stimmung im Land auf den Punkt: «Jag anser att vi har misslyckats.» – «Ich denke, wir sind gescheitert.» Was war geschehen?
Zu diesem Zeitpunkt hatte das Land bereits über 8000 Tote zu beklagen. Im November waren so viele Menschen gestorben wie in keinem Monat seit der spanischen Grippe. «Das schwedische Volk hat enorm gelitten», so König Carl Gustaf.
Dabei hatte es zunächst so gut ausgesehen. Während im Frühjahr 2020 viele Staaten ihre Schulen schlossen und das öffentliche Leben lahmlegten, schlug man im Norden Europas einen anderen Weg ein. Im Kampf gegen die Corona-Pandemie beliessen es die schwedischen Behörden bei Empfehlungen an die Bevölkerung. Verbote und Einschränkungen gab es kaum, man setzte auf die Vernunft der Bevölkerung. Der Schulbetrieb lief weiter, die Restaurants waren geöffnet, niemand redete von Schutzmasken.
Der Herbst brachte die Wende
Auf Länder, die unter teils heftigen Einschränkungen ächzten, wirkte die skandinavische Alternative verführerisch. Es schien, als kämen die Schweden trotz ihres Sonderwegs glimpflich durch die Krise. Unter Corona-Skeptikern galt das Land als Beweis, dass die Sorge vor dem Virus masslos übertrieben ist.
Dass man auf eine Herdenimmunität setzte, wurde von den schwedischen Behörden nie offiziell bestätigt. Doch faktisch strebte man offenbar genau das an: eine rasche Durchseuchung der Gesellschaft. Zwar gab es auch in Schweden einige Einschränkungen. Öffentliche Treffen und Anlässe von mehr als 50 Personen waren schon früh verboten. In Alters- und Pflegeheimen galt ein Besuchsverbot, weiterführende Schulen und Hochschulen mussten auf Online-Unterricht umstellen. Doch ansonsten setzte man zum Beginn der Pandemie vor allem auf Freiwilligkeit, und die traditionell staatsgläubige schwedische Bevölkerung war lange überzeugt, dass der eingeschlagene Kurs der richtige sei.
Doch zum Ende des Sommers wurde auch Schweden von einer zweiten Welle überrollt. Zeitweise war die Lage sogar deutlich schlimmer als bei den direkten Nachbarn Finnland und Norwegen. Im Herbst war Schweden sogar eines der am stärksten betroffenen Länder.
Ende November 2020 begann die Regierung, von ihrem lockeren Kurs abzuweichen. Die Empfehlungen an die Bevölkerung wurden verschärft: Einkaufen nur noch, wenn nötig; Masketragen im öV; Verzicht auf Reisen. Später folgte eine Reihe verbindlicher Einschränkungen.
Das Land ist verunsichert
Dass sich die Strategie änderte, hatte auch mit der hohen Sterblichkeit unter älteren Menschen zu tun. Vor allem die Alters- und Pflegeheime offenbarten während der Krise erhebliche strukturelle Schwächen. Dort arbeiten viele schlecht ausgebildete Ausländer im Stundenlohn. Weil sie auf ihre Jobs dringend angewiesen sind und häufig als Springer eingesetzt werden, trugen diese Arbeitskräfte das Virus von einem Heim ins nächste.
Im Januar 2021 beschloss das Parlament in Stockholm ein Pandemiegesetz, das der Regierung im Kampf gegen die Pandemie weitreichende Befugnisse einräumt. Gebrauch gemacht hat sie davon nicht. Noch immer sind die Corona-Massnahmen im Vergleich mit anderen Ländern nicht besonders streng.
Die zehn Millionen Einwohner des Landes mussten bisher also deutlich weniger Einschränkungen ertragen als die Menschen in den Nachbarländern. Zudem ist die schwedische Wirtschaft recht gut durch die Krise gekommen – abgesehen von einer sehr hohen Arbeits losenquote von über neun Prozent.
Auf der anderen Seite gab es bis Anfang März über 13 000 Tote, die auf Corona zurückgeführt werden (Schweiz: 9500). Dieser verhältnismässig hohe Wert hat zu heftigen öffentlichen Kontroversen geführt. Das Land ist verunsichert, das Vertrauen in die Regierung ramponiert.
Fazit: Ob Schweden es besser gemacht hat oder einfach nur anders, bleibt letztlich eine Frage des Standpunkts.