Ein Jahr Pandemie-Berichterstattung
16.03.2021 CoronavirusAuf den Tag zwölf Monate ist es her, dass in der Schweiz der erste Lockdown begann. Mindestens genauso lange berichten die Medien bereits über die Corona-Krise – auch der «Frutigländer». Zeit für einen kritischen Rückblick.
MARK POLLMEIER
16. März 2020. In ...
Auf den Tag zwölf Monate ist es her, dass in der Schweiz der erste Lockdown begann. Mindestens genauso lange berichten die Medien bereits über die Corona-Krise – auch der «Frutigländer». Zeit für einen kritischen Rückblick.
MARK POLLMEIER
16. März 2020. In einer ausserordentlichen Sitzung beschliesst der Bundesrat, das Leben in der Schweiz für mehrere Wochen herunterzufahren. Alle Läden, Restaurants, Bars, die Unterhaltungsund Freizeitbetriebe müssen ab Mitternacht ihren Betrieb einstellen. Kurz zuvor waren schon die Schulen geschlossen worden. Es geschieht das, was man heute den ersten Lock- oder Shutdown nennt.
Noch wenige Tage zuvor hatten viele über «diese Seuche aus China» gewitzelt. Doch nun war die Corona-Krise für alle spürbar in der Schweiz angekommen. Es wird dereinst Aufgabe der Historiker sein, diese frühe Phase der Pandemie aufzuarbeiten: das Zögern, die Fehlurteile, die Entscheide, die häufig zu spät kamen.
Aber auch abseits der grossen Politik lohnt sich der kritische Blick zurück – auch für die Medien. Was wurde damals, vor einem Jahr, geschrieben und kommentiert? Lag man mit seinen Einschätzungen richtig? Hat die Berichterstattung den Realitätstest bestanden?
Das Wichtigste war schon früh bekannt
Der «Frutigländer» widmet der beginnenden Pandemie am 28. Februar 2020 einen ersten grösseren Artikel. «Corona – ein Grund zur Sorge?», lautet der Titel. Im Text ist damals noch vom «neuen Coronavirus» die Rede. Erste Auswirkungen auf die Wirtschaft werden beleuchtet, etwa Lieferengpässe aus China oder das Ausbleiben der asiatischen Touristen in der Region. Auch die Tücken des Virus und besonders gefährdete Personen werden bereits benannt: «Wer nicht merkt, dass er infiziert ist, bewegt sich wie gewohnt frei im öffentlichen Raum – und steckt Menschen an, die das Virus vielleicht nicht so gut wegstecken können. Als Risikogruppen gelten vor allem vorerkrankte und alte Menschen.»
Es ist durchaus erhellend, sich diese ein Jahr alten Texte durchzulesen. Eigentlich wusste man damals schon alles, was man wissen musste, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Selbst die später gebetsmühlenartig wiederholten Hygieneregeln greift die Autorin bereits in diesem ersten Corona-Artikel auf: Hände gründlich mit Wasser und Seife waschen, Abstand halten, in die Armbeuge niesen, bei Fieber und Husten daheimbleiben.
Vorerst bleibt es im «Frutigländer» bei der gelegentlichen Erwähnung des Virus. Meist wird über die schärfer werdenden Massnahmen der Behörden berichtet, etwa über das Verbot von Grossanlässen mit über 1000 Teilnehmern.
Abgesagte GVs, Besuchsverbot, Firmen in Not
Eine breite Berichterstattung zur beginnenden Pandemie findet sich erstmals in der Ausgabe vom 10. März: Auf der Frontseite ein Bild des neu aufgestellten Test-Containers vor dem Frutiger fmi-Spital, im Innenteil dann eine ganze Doppelseite über die Auswirkungen der Krise auf die lokale Wirtschaft und den Gesundheitssektor. Reisebüros verzeichnen inzwischen enorme Umsatzeinbussen, die ersten Altersheime im Frutigland haben einen Besucherstopp verhängt, die GVs der Banken stehen auf der Kippe.
Spätestens mit dem genannten Lockdown-Entscheid des Bundesrats erobert sich Corona dann einen festen Platz im «Frutigländer». Als Lokalzeitung berichtete er ab Mitte März stets dreigleisig. Beleuchtet wurden einerseits die Folgen der Pandemie im Erscheinungsgebiet: Wie gehen Hotellerie und Restaurants mit der Krise um, welche Massnahmen treffen die Schulen, was machen jene KMU, die ihre Arbeit einstellen mussten? Ein zweiter Schwerpunkt war die Information über die Massnahmen der Behörden und neue Erkenntnisse zur Pandemiebekämpfung. Was haben Bundesrat und Kantonsregierung beschlossen, welche Auswirkungen haben die Entscheide? Was bedeutet exponentielles Wachstum? Wie ist das mit den Intensivplätzen in den Spitälern?
Interessant ist, dass an der Corona-Berichterstattung der Medien vor allem dieser Informationsteil kritisiert wird. Einige Umfragen hat man inzwischen dazu durchgeführt, und die Vorwürfe, die darin erhoben wurden, ähneln sich: Über Corona sei zu viel, zu alarmistisch, zu staatsnah berichtet worden.
Ein Zuviel an Information?
Diese Kritik zu analysieren wäre ein ganz eigenes Thema. Fest steht: Der Beginn der Pandemie war auch für die Medien eine ausserordentliche Situation. Die Frage, in welchem Umfang die Berichterstattung nötig ist und wann es zu viel wird, hat wohl jeden Sender und jede Zeitung beschäftigt – auch den «Frutigländer». Bereits Anfang März 2020 tauchte in einem Artikel der Begriff «Infodemie» auf, der auf die Gefahr einer Nachrichten-Übersättigung hinwies.
Letztlich muss man sich wohl eingestehen, dass diese «Infodemie» kaum zu verhindern war. Über Monate hinweg war die Krise das beherrschende Thema in grossen Teilen der Öffentlichkeit und der Politik. Dass sich dies auch in der medialen Berichterstattung niederschlug, liegt ebenso auf der Hand wie die anfangs «behördennahen» Informationen. Gesicherte Fakten waren rar; auch bei Zeitungen und Sendern wusste im Frühjahr 2020 kaum jemand, was da auf die Welt zurollt.
Gleichwohl gab es Gestaltungsspielraum. Der «Frutigländer» versuchte ihn zu nutzen, indem er immer wieder dem Positiven Raum gab. So beschäftigten sich viele Artikel dieser Zeit mit den kreativen Ideen, die im Tal zur Bewältigung der Krise ergriffen wurden.
«Wir stehen erst am Anfang»
Ein dritter Schwerpunkt der Corona-Berichterstattung war es schliesslich, die aussergewöhlichen Vorgänge zu kommentieren und einzuordnen. So lobte der «Frutigländer» am 17. März die Beschlüsse des Bundesrats vom Vortag – nicht, weil sie so weise gewesen wären, sondern weil sie den föderalen Flickenteppich aus Einzelmassnahmen endlich zu einem Stück verwoben.
Eine Analyse, die kurz darauf erschien, trug den Titel «Wir stehen erst am Anfang» – eine Einschätzung, die sich leider bewahrheiten sollte. «In der Schweiz gelten viele der Corona-Massnahmen bis Ende April», hiess es im Text. «Das nährt die Hoffnung, ab dann könne man allmählich wieder zur Normalität zurückkehren. Doch der Schein trügt. Die gesundheitliche Krise dürfte noch lange nicht ausgestanden sein, und die wirtschaftliche hat gerade erst begonnen.» Der Artikel vom März 2020 enthielt auch eine – damals weit verbreitete – Fehleinschätzung. Bis zur Zulassung eines Impfstoffs werde es wohl noch mindestens ein Jahr dauern, hiess es, «davon geht auch der WHO-Seuchenexperte Mike Ryan aus.» Diese Prognose ist zum Glück nicht eingtroffen. Erste Impfstoffe wurden nicht erst im Frühjahr 2021, sondern schon zum Jahresende 2020 zugelassen, ein Umstand, auf dem nun viele Hoffnungen ruhen. Denn auch das stand vor einem Jahr in dieser Zeitung: «Ewig wird man die Einschränkungen nicht aufrechterhalten können – mit Blick auf die Wirtschaft, aber auch für die Gesellschaft ist der eingeschlagene Weg ausgesprochen heikel.»
Den heiklen Weg bald wieder verlassen zu können – auf diesen Wunsch können sich derzeit wohl alle einigen, ganz gleich, wie weit ihre Meinungen sonst auseinandergehen.