KOLUMNE – THE YOUNG VIEW
23.03.2021 KolumneVon neutralen Urteilen
Seit bald eineinhalb Jahren bin ich Mitglied im Vorstand der Fachschaft Philosophie an der Uni Bern und beteilige mich dort im Ressort für Kommunikation. Ein Team, das rein aus Philo-Studierenden besteht, ist ziemlich so, wie man sich das vorstellt: ...
Von neutralen Urteilen
Seit bald eineinhalb Jahren bin ich Mitglied im Vorstand der Fachschaft Philosophie an der Uni Bern und beteilige mich dort im Ressort für Kommunikation. Ein Team, das rein aus Philo-Studierenden besteht, ist ziemlich so, wie man sich das vorstellt: Die meisten sind motiviert, jeder hat seine eigene Meinung (und jeder weiss es ein bisschen besser), und unsere Sitzungen dauern prinzipiell etwas länger als geplant (siehe letzter Punkt) – was aber auch daran liegt, dass wir immer alles möglichst korrekt machen wollen (eine andauernde Auseinandersetzung mit richtig und falsch sowie die Angewohnheit, alles mindestens zehnmal zu überdenken, haben das leider zur Folge). Manchmal geht mir das ständige Hin und Her zwar etwas auf den Geist –vor allem bei fast dreistündigen Sitzungen, in denen ich schon längst nicht mehr einsehe, warum wir jedes Detail durchdiskutieren (man sieht, auch ich entkomme der philosophischen Tendenz, es besser wissen zu wollen, nicht wirklich). Trotzdem muss ich zugeben, dass ich es sehr schätze, immer mal wieder neuen Input zu bekommen.
So bin ich nämlich (gemeinsam mit einem Kollegen) verantwortlich für das Verfassen des wöchentlichen Newsletters, den die ganze Fachschaft erhält. Ziel ist es, die Studierenden über alle Events und Möglichkeiten zu informieren, die philosophisch relevant sind. Die Veranstaltungen sind meistens querbeet, von Vorträgen, Diskussionen und Lesekreisen bis hin zu Kino- und Spiel abenden ist so ziemlich alles dabei. Als uns also ein linkspolitischer Lesekreis der Universität Bern anfragte, ob wir für ihn Werbung machen, war für mich eigentlich klar, dass dies in den Newsletter aufgenommen wird – bis im Team gewisse Zweifel aufkamen. Ist es in Ordnung, als Organisation, die politisch unbeeinflusst und konfessionsneutral sein soll, für politische oder religiöse Veranstaltungen zu werben? Ich war etwas stutzig, weil wir schon des Öfteren Diskussionsabende, die zum Beispiel von religiösen Organisationen veranstaltet wurden, beworben haben. Warum sollte es nun nicht in Ordnung sein, einen politischen Lesekreis zu erwähnen? Auch war ich der Meinung, dass es im Interesse der allgemeinen Meinungsbildung ist, auf ein möglichst breites Sortiment an Events aufmerksam zu machen. Dabei, so denke ich, spielt es ebenfalls eine Rolle, ob die Werbung ein Werturteil enthält – ob wir also als Vorstand deutlich machen, dass wir die Veranstaltung gut finden, oder ob wir nur darauf hinweisen, dass etwas stattfindet. Ich sah also das Problem mit einem linkspolitischen Lesekreis nicht, da es sich dabei aus meiner Sicht nicht um ein politisches Statement handelt. Bis ein Kollege mich fragte, ob ich dafür wäre, auch einen rechtspolitischen Lesekreis zu bewerben – und ich mir doch ziemlich erwischt vorkam, weil mein Instinkt ein klares Nein vorgab. Ich musste also zähneknirschend zugeben, dass mein Urteil, den linkspolitischen Lesekreis als unproblematisch abzustempeln, doch von meiner politischen Sichtweise geprägt war und dementsprechend nicht neutral.
Nach reichlicher Diskussion einigten wir uns darauf, den Lesekreis zu bewerben, mit der Absicht, auf ein breites Spektrum an Veranstaltungen hinweisen zu wollen. Ich bekam also schliesslich, was ich wollte – bin meinem Team aber gleichzeitig dankbar, dass es mich nicht mit dem Ganzen davonkommen liess, ohne es nochmals überdacht zu haben. Wie es eben nicht nur gute Philo-Studis machen sollten.
XENIA SCHMIDLI
SCHMIDLIX@HISPEED.CH