Vergleichsetzungen
Es gibt Redensarten, die sind einfach nur ärgerlich. «Du sollst nicht Äpfel mit Birnen vergleichen» ist so eine. Ja, was denn – selbstverständlich kann man Äpfel mit Birnen vergleichen! Nämlich so: Die einen sind eher rund, die anderen länglich; ...
Vergleichsetzungen
Es gibt Redensarten, die sind einfach nur ärgerlich. «Du sollst nicht Äpfel mit Birnen vergleichen» ist so eine. Ja, was denn – selbstverständlich kann man Äpfel mit Birnen vergleichen! Nämlich so: Die einen sind eher rund, die anderen länglich; Äpfel schmecken so, Birnen schmecken anders. Aber beide gehören zur Kategorie der Früchte. Und wieso sollte man Früchte nicht untereinander vergleichen können? Auch Tiere sind miteinander vergleichbar: Ein Elefant ist grösser als ein Hund. Und der Wohnort des letzteren – die Hundehütte – gehört zur Kategorie der Bauwerke, womit sich Hundehütten durchaus mit Wolkenkratzern vergleichen lassen: Die einen sind niedrig, die andern hoch.
Man sieht: Sobald von einem gemeinsamen Oberbegriff ausgegangen wird, ist das Vergleichen zulässig. Vergleiche ergeben ja überhaupt nur einen Sinn, wenn Unterschiede vorhanden sind: Identische Dinge zu vergleichen – etwa zwei rote Caran d'Ache-Bleistifte mit Härtegrad 2 – ergibt das langweilige Resultat, dass beide gleich sind. Es sei denn, man zieht das Kriterium der Länge herbei: Dann ist vielleicht der eine Bleistift kürzer als der andere. In den Worten des Sprachkritikers Daniel Goldstein einst in der Zeitung «Der Bund»: «Ungleiches zu vergleichen, ist kein Unsinn – es ist das einzige sinnvolle Vergleichen. Man darf Ungleiches nur nicht gleichsetzen.»
Man soll Äpfel nicht mit Birnen gleichsetzen: Dieser Spruch stimmt. Aber Vergleichen geht immer. Oder fast: Für «Mut» und «Hausschlüssel» zum Beispiel findet sich kaum ein gemeinsamer Oberbegriff – sie sind tatsächlich unvergleichbar. Ausser man schaue schlicht auf die Zahl der Buchstaben. Dann ist das eine Wort kurz, das andere lang: ein perfekter Vergleich. Auch die aktuelle Corona-Pandemie und die Spanische Grippe von vor 100 Jahren lassen sich g egenüberstellen. Denn beide sind Pandemien – obschon unter sehr verschiedenen medizinischen und gesellschaftlichen Umständen. Diese Unterschiede festzustellen, ist ja gerade das Ziel des Vergleichs.
Vorsicht geboten ist allerdings immer dann, wenn Vergleiche eine Wertung enthalten. Dann ist Fairness angesagt. Man kann zwar in der Kategorie der Automobile einen VW Polo mit einem Ferrari vergleichen, aber dabei sollte man sich nicht lustig machen über den kleinen Polo und seine geringe Beschleunigungskraft – schliesslich kostet er ja auch nur einen Bruchteil des Ferrari-Preises. Ebenso unfair wäre es, die Birne gegenüber dem Apfel mit Verachtung zu strafen, weil die Birne keinen Apfelsaft hergibt. Da kann sie nichts dafür, es liegt nun mal in ihrer Natur.
TONI KOLLER
TONI_KOLLER@BLUEWIN.CH