WONACH WIR UNS SEHNEN
Einmal mehr hat Abraham Maslow recht. Das Modell des amerikanischen Psychologen besagt im Wesentlichen, dass es verschiedene Ebenen menschlicher Bedürfnisse gibt und dass sich diese Ebenen in einer klaren Rangordnung befinden. So entwickle sich ...
WONACH WIR UNS SEHNEN
Einmal mehr hat Abraham Maslow recht. Das Modell des amerikanischen Psychologen besagt im Wesentlichen, dass es verschiedene Ebenen menschlicher Bedürfnisse gibt und dass sich diese Ebenen in einer klaren Rangordnung befinden. So entwickle sich beispielsweise der Wunsch nach Sozialkontakten erst dann so richtig, wenn der existenzielle Grundbedarf gedeckt sei. Und erst wenn wir uns nicht mehr einsam fühlen würden, melde sich die Sehnsucht nach Anerkennung und Selbstverwirklichung.
Das Modell lässt sich auch in Pandemiezeiten problemlos anwenden: Erst mussten während des ersten Lockdowns im Frühling 2020 WC-Papier und Pasta her (Grundbedarf). Während des zweiten Lockdowns investierten dann viele Schweizer Innen in Haustiere (Sozialkontakte) oder Fitnessgeräte (Anerkennung).
Nun wirft die vom Onlinehändler Digitec Galaxus veröffentlichte Konsumrangliste natürlich auch Fragen auf. Warum bloss kauften die Leute im Frühjahr so viel Essig? Wurde da der Frühlingsputz vorgezogen oder wollte man sich die Saure-Gurke-Zeit auch geschmacklich vergegenwärtigen? Ebenfalls rätselhaft: Im Januar 2021 gingen bis zu 30-mal mehr Aquarien über den virtuellen Ladentisch als ein Jahr zuvor. Dabei dürfte sich der Geselligkeitsfaktor von Fischen doch eher in Grenzen halten. Gut möglich, dass das auch die Käufer realisierten. So liesse sich zumindest die hohe Nachfrage nach Angelzubehör erklären. Das leere Aquarium könnte dann problemlos mit der jüngst erworbenen Kugelhantel zertrümmern oder irgendwo versenkt werden.
Ganz allgemein fragt sich: Was passiert mit all diesen Waren, nachdem die Normalität wieder eingekehrt ist? Die menschliche Begeisterung an Materiellem hat ja meist ein klares Ablaufdatum. Eine Ausnahme könnten immerhin die übrig gebliebenen Haustiere bilden. Womöglich winkt ihnen gar die ewige Existenz: Denn durch die Amokkäufe im letzten Frühling dürften die privaten WC-Papierlager nach wie vor gut bestückt sein. Damit könnte man die Tierchen nach deren Ableben ausstopfen. Oder mumifizieren.
JULIAN ZAHND
J.ZAHND@FRUTIGLAENDER.CH