Als Regionalpfarrer ist er überall daheim
20.04.2021 Porträt, RegionVom Frutigland über das östliche Oberland bis ins Oberemmental: Der Wirkungskreis von Matthias Inniger ist gross. Worin aber bestehen seine Aufgaben – und wie bewältigt er diese?
PETER ROTHACHER
Seit sieben Jahren ist Matthias Inniger bereits als Regionalpfarrer ...
Vom Frutigland über das östliche Oberland bis ins Oberemmental: Der Wirkungskreis von Matthias Inniger ist gross. Worin aber bestehen seine Aufgaben – und wie bewältigt er diese?
PETER ROTHACHER
Seit sieben Jahren ist Matthias Inniger bereits als Regionalpfarrer unterwegs. Und zwar im wortwörtlichen Sinne. Man könnte ihn glatt als «fahrenden Pfarrer» oder als «Störenpfarrer» betiteln. Neuerdings ist er auch für das Frutigland zuständig. «Ich bin tatsächlich dauernd unterwegs», erklärt der Geistliche mit Adelbodner Wurzeln. «Ging es früher hauptsächlich darum, Pfarrpersonen bei der Ausübung ihrer Aufgaben zu vertreten, predige ich beispielsweise nur noch selten. Mein Amt entspricht nun eher einer Personalmanagement- und Beratungsaufgabe, die das Ganze von Kirchgemeinden, Regionen und der Landeskirche im Blick hat.»
Nicht zuletzt dank seiner vielfältigen Berufserfahrung verfügt Inniger über die für diese Aufgabe nötigen Zusatzqualifikationen. Dazu gehören beispielsweise Coaching, Supervision, Beratung und Personalentwicklung. «Als Regionalpfarrer bin ich nicht nur Ansprechpartner für die Pfarrpersonen, sondern auch für die zuständigen Behörden. In meine Zuständigkeit fällt damit die gesamte Organisation einer heutigen Kirchgemeinde.» In der entsprechenden Verordnung des Synodalrates heisst es denn auch: «Die Regionalpfarrerinnen und -pfarrer wirken darauf hin, dass in den Kirchgemeinden gute Arbeitsverhältnisse herrschen.»
Nahe bei den Leuten
Der Regionalpfarrer unterstützt die Behörden bei Stellenwechseln und Pensionierungen sowie bei der Suche von Pfarrpersonen. Bei Uneinigkeiten versucht er zu vermitteln. Pfarrpersonen unterstützt er bei Bedarf, ganz besonders auch hinsichtlich ihrer Weiterbildung. Er ist sowohl für den Kirchgemeinderat wie auch für die Geistlichen eine Vertrauensperson und ebenso für deren jährliche Mitarbeitergespräche zuständig. «Ich treffe überall auf offene Türen und begegne den Leuten auf kollegialer Basis», erklärt Matthias Inniger. «Dabei bin ich nicht mit einer Mission unterwegs, sondern als Hörender, Beobachtender – und oft als Staunender. Letzteres im absolut positiven Sinne: Ich habe grossen Respekt vor der tollen Arbeit, welche die Pfarrpersonen, Behördenmitglieder und freiwilligen Helferinnen und Helfer leisten.» Die Ideenvielfalt, mit der auf allen Ebenen des kirchlichen Engagements kreativ gearbeitet werde, verblüffe ihn immer wieder neu.
Die Kirchgemeinden im Kreis 1 unterscheiden sich in ihrer Grösse recht stark. Ob nun eine ganz kleine Gemeinde bloss über eine 50-Prozenz-Stelle verfügt oder aber in Thun rund 20 Pfarrpersonen arbeiten: Die Basisarbeit bleibt die gleiche. Und diese entsprechend unterschiedlichen Voraussetzungen machen den theologischen Beruf denn auch sehr vielseitig.»
Es ist nicht immer einfach
Der Spruch «Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann», treffe auch auf die Geistlichen zu, bestätigt Matthias Inniger. Wenn der Pfarrer ins Restaurant gehe, riskiere er eventuell die Bemerkung: «Dr Pfarrer hockt immer ir Beiz.» Andersrum töne es: «Er isch nid bi de Lüt. Er hautet sich wohl für öppis Bessers.» Dabei gehe vergessen, was all diese Berufskolleginnen und -kollegen – oft im Stillen – für tolle Arbeit leisten würden. «Beispielsweise bei der Begleitung der Trauernden, der Verzweifelten oder der Leute im Krankenbett.» Gerade in der heutigen Corona-Zeit geschehe das ungeachtet der Konfession: «Man kann einfach anrufen. Das ist doch ein enormes Angebot.»
Inniger zeigt sich glücklich über sein neues Wirkungsgebiet: «Ich liebe die Berge im Oberland und die Hügel im Emmental.» Und mit einem Augenzwinkern meint er: «Ich habe eigentlich gehofft, mir werde ein Helikopter zugeteilt …» Die Mentalität der Menschen in den unterschiedlichen Gebieten mache die Aufgabe spannend. Er fühle sich überall daheim. Dank seiner früheren Arbeit und den heutigen vereinzelten Einsätzen an der «Front», wie etwa Beerdigungen oder Konfirmationslager, spüre er, wenn irgendwo der Schuh drückt. «Vieles läuft rund, aber Meinungsverschiedenheiten sind nun mal menschlich. Doch meistens ist der gute Wille vorhanden, sodass einvernehmliche Lösungen zustande kommen.»
Die Freude am Beruf bleibt
Im Auftrag der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion hat Matthias Inniger 2018 eine «Religionspolitische Auslegeordnung für den Kanton Bern» verfasst. Darin hält er fest, dass die evangelisch-reformierte Landeskirche innerhalb von 28 Jahren 210 175 Mitglieder verloren hat. Sein Fazit: «Heute gehört im Kanton Bern jede dritte Person keiner anerkannten Religionsgemeinschaft mehr an.» Auf die sich leerenden Kirchen angesprochen, meint der Regionalpfarrer: «Wir können auch mit bloss 40 Prozent noch Kirche sein – und offen bleiben für alle. Der Auftrag bleibt der gleiche: Die Worte von Jesus Christus als Fundament unseres Glaubens verkündigen. Für mich ist und bleibt der Beruf des Pfarrers der schönste Beruf.»
Das Familienleben habe sich nun mal verändert, hält Inniger fest. Neben Beruf, Schule, Vereinen und dem üppigen Freizeitangebot seien Gottesdienste halt etwas aus der Mode gekommen. Das sei nicht etwa auf eine schlechte Arbeit der Theologen zurückzuführen. Er erlebe weiterhin viele Situationen, in denen Leute die Seelennahrung als Quelle der Kraft nutzen. «Der Trend, aus der Kirche auszutreten und die Kirchensteuer zu sparen, ist momentan kaum aufzuhalten. Das stellt die Kirchgemeinden mit ihren zumeist schönen und historischen Gebäuden vor grosse finanzielle Herausforderungen. Der Kanton darf uns da nicht im Stich lassen.»
Hilfe in Anspruch nehmen
Nach dem Wechsel der Pfarrschaften vom Kanton zur Kirche nimmt die Landeskirche ihre Aufgabe sehr ernst. Der Regionalpfarrer betont: «Mit der Neuorganisation bietet sie für alle Aspekte entsprechende Unterstützung und hält sehr gute Angebote bereit. In meiner Funktion bin ich da eine Art ‹Verbindungsoffizier› zur Zentralverwaltung.» Aber es gebe künftig für die Kirchgemeinden schon einige Herausforderungen zu meistern. «Zum Beispiel, wenn weiter sinkende Stellenprozente bei den Pfarrstellen den Bereitschaftsdienst gefährden und die Dienstwohnungspflicht zum Problem wird.» Da müssten wohl regionale Lösungen ins Auge gefasst werden.
Zur Bewältigung der Zukunft sei gegenseitiges Verstehen nötig, betont Matthias Inniger. Und er zitiert dazu ein altes Indianersprichwort: «Grosser Geist, bewahre mich davor, über einen Menschen zu urteilen, bevor ich eine Meile in seinen Mokassins gelaufen bin.»