Von Abschieden und Neuanfängen
07.04.2021 KulturMUSIK Was verbindet ein irisches Auswandererschiff mit Mitholz? Kathrin Künzi, die in Frutigen aufgewachsene Sängerin der Band «Jeanie Johnston», erklärt, weshalb sie einen Mitholz-Song für das soeben erschienene Debütalbum geschrieben hat.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
MUSIK Was verbindet ein irisches Auswandererschiff mit Mitholz? Kathrin Künzi, die in Frutigen aufgewachsene Sängerin der Band «Jeanie Johnston», erklärt, weshalb sie einen Mitholz-Song für das soeben erschienene Debütalbum geschrieben hat.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
«Jeanie Johnston», so hiess der Kahn, der während der grossen Hungersnot Tausende von Irinnen und Iren nach Amerika brachte. Im Gepäck hatten sie das Heimweh nach der alten und die Neugier auf die neue Heimat.
Auf ihrer aktuellen CD «Tales From The Shore» erzählt die Band «Jeanie Johnston» Geschichten von Abschieden und Anfängen. Sie beinhaltet Storys über Menschen, die sich neu orientieren müssen. Dabei bedient sich die Band beim musikalischen Kulturschatz der Alten Welt und dem, was sich in der Neuen Welt daraus entwickelt hat – von Celtic Folk über Bluegrass bis Blues und Jazz.
Mitholz ist Familiengeschichte
Heimweh und Neuanfang, das ist es auch, was die Band in ihrem eigenen Song «Mitholz» verarbeitet. Für viele AnwohnerInnen des ehemaligen Munitonsdepots steht wegen des geplanten Wegzugs während der Räumung ein Neubeginn an – begleitet von Heimweh. Doch wie kommt die Band dazu, dieses Thema aufzugreifen?
Kathrin Künzis Vater stammt aus Mitholz. Die Sängerin der Band nutzt das Elternhaus heute in den Ferien und hat noch einige Verwandte im Dorf. Auch ihr Haus steht in der Evakuierungszone. Die Explosion 1947 im Munitionslager und was nun durch die Räumung der explosiven Altlast passiert, ist also Teil der Familiengeschichte. «Mich beschäftigen die Schicksale der Mitholzerinnen und Mitholzer, auch wenn ich in Luzern, meinem heutigen Wohnort, eine gewisse Distanz dazu habe.»
Neues als Chance sehen
Und was will das Quartett mit Kathrin Künzi, dem Gitarristen Othmar Brügger, dem Violinisten Vincent Millioud und dem Kontrabassisten Claudio Strebel mit seiner Musik ansprechen? Die teils schwermütigen Songs geben auch Zuversicht, dass aus Abschieden und Veränderungen etwas entstehen kann. Veränderungen könnten ungeahnte Kräfte freisetzen. Wer loslasse, habe seine Hände wieder frei, um Neues anzupacken. «Natürlich ist das leichter gesagt als getan – und in Bezug auf Mitholz würde ich mir keine Meinung anmassen, wie die Menschen dort mit ihrer komplexen Situation umgehen sollten. Mit unserer Musik sprechen wir von unseren Erfahrungen und erzählen Geschichten anderer Menschen», erklärt die Sängerin und Songwriterin. Das Thema Flucht und Flüchtlinge begleitet sie schon lange. Die Musik bietet ihr einen Zugang und eine Möglichkeit, all ihre Fragen und Gedanken dazu zu verarbeiten. Und irgendwie würden ja auch die Mitholzerinnen und Mitholzer zu Vertriebenen.
«Guggisberg» neu arrangiert
Die insgesamt 13 Songs der CD decken ein weites Spektrum an Roots-Musik ab. Der Band gelingt es, die keltischen Einflüsse von Irish Folk und englischem Folk-Rock mit Blues- und Bluegrass-Einflüssen zu vermischen – und das vielfach sogar im gleichen Song. Es wird auf dem Album hörbar, dass die Musik aus Europa durch die Auswanderer in die Neue Welt mitgenommen wurde und dort auch Einfluss hatte. Neben Coverversionen und Eigenkompositionen beinhaltet es grösstenteils Traditionals, die mit neuen Ideen und Arrangements aufgenommen wurden. Neben dem bekannten Guggisberglied sticht auch der eigene Song «Mitholz» heraus.
Ein Herzensprojekt
Zur Musik hat Kathrin Künzi durch ihre Mutter gefunden: «Sie hat mit mir beim Abwaschen eine riesige Palette an alten Schweizer Volksliedern gesungen. Damit weckte sie in mir die Leidenschaft fürs Singen, und ich bin ihr ewig dankbar dafür. Der Song ‹Under a lonely Tree› ist meiner Mutter gewidmet.»
Schon als die Sängerin 14 Jahre alt war, entstanden die ersten Songs mit autodidaktischer Gitarrenbegleitung. Mit 18 startete Kathrin Künzi dann als Sängerin in ihrer ersten Band «Jot down». Mit dabei war damals auch Robi Maurer, der Sohn von Singer-Songwriter-Festival-Gründer Aschi Maurer.
Die Musik wurde immer wichtiger für Künzi. Deshalb studierte sie Jazzgesang an der Musikhochschule in Luzern und ist heute unter anderem an der dortigen Musikschule als Gesangslehrerin tätig. «‹Jeanie Johnston› ist mein Herzensprojekt. Ich habe das Glück, mit drei grossartigen Musikern auf der Bühne zu stehen», sagt Künzi über ihre aktuelle Band. Mit Othmar Brügger, dem Co-Bandleader, tausche sie sich über musikalische Ideen aus, die er in stimmige Arrangements packe. «Jeanie Johnston» habe sehr viel mit ihr selbst zu tun, bekennt Künzi. «Ich identifiziere mich stark mit der musikalischen Vernetzung der Kontinente – und natürlich mit den verwirrenden Geschichten, weil wir nie wissen, was das Leben für uns noch so auf Lager hat.»
Jeanie Johnston: Tales From The Shore, CD, 2021. Weitere Infos und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.frutiglaender.ch/web-links.html
Das Album ist auch auf den üblichen Streamingplattformen zu finden.