SPAGAT – Weg mit dem Gurt!
21.05.2021 KolumneWeg mit dem Gurt!
Jetzt rennen sie wieder. Sie beachen und turnen wieder. Dem Bundesrat sei Dank! Nein, eigentlich nicht. Dass die Turnhallen, Sportplätze, Fitnessstudios und Schwimmbäder nach monatelanger Stilllegung mit entsprechend angepasstem Schutzkonzept endlich ...
Weg mit dem Gurt!
Jetzt rennen sie wieder. Sie beachen und turnen wieder. Dem Bundesrat sei Dank! Nein, eigentlich nicht. Dass die Turnhallen, Sportplätze, Fitnessstudios und Schwimmbäder nach monatelanger Stilllegung mit entsprechend angepasstem Schutzkonzept endlich wieder das sind, was sie sein sollten, nämlich ein Ort der Begegnung, des gemeinsamen Sich-Bewegens und Schwitzens, hat wohl viel mehr mit einer kollektiv ausgehaltenen Leidensphase zu tun. Ich bin in der Zeit, wie wohl so viele andere auch, auf alternative Sportarten umgestiegen. Aber so richtig Gefallen daran gefunden habe ich persönlich nicht.
Das Training zu zehnt in der Turnhalle war verboten. Zusammengepfercht in einer Gondel stehen nicht. Weil ich darin keinen Sinn sah, liess ich das Skifahren diese Saison Skifahren sein. Mit dem Resultat, dass ich die vielen tollen geposteten Schneebilder neidisch betrachten musste.
Digital war ich nur mangelhaft erfolgreich. Team-Aerobic als gemeinsames Erlebnisgefühl und doch allein vor dem Bildschirm war nicht die Lösung. Hier und da ein Bein oder einen Arm auf dem kleinen Bildschirm-Ausschnitt, dazu noch mit verzögerter Sprachübertragung, liess uns alle scheitern. Lieber keines als ein negatives Gemeinschaftserlebnis. Dann habe ich es mit Yoga at home versucht. Aber auch diese Bewegung vor dem Computer konnte mich nur mässig begeistern. Die «Beziehung zu meinem Coach» stellte sich nicht ein und der gute Wille war schnell vorbei. Mit dem Löschen der App kam das schlechte Gewissen. Ich müsste mich doch einfach mehr bewegen! Mein innerer Schweinhund hatte wieder einmal gewonnen.
Ich fahre auch Fahrrad. Aber auch dem neusten Volkstrend kann ich nicht viel abgewinnen. Wenn ich am Wochenende zu Fuss unterwegs bin, habe ich das Gefühl, dass die halbe Schweiz aufs Velo umgestiegen ist. Herr und Frau Schweizer biken. Es müssen Tausende von ihnen sein, denn viele Velohändler können die gewünschten und bestellten Fahrräder gar nicht ausliefern. Selbst Velohelme waren wegen Lieferengpässen Mangelware, als ich einen neuen gebraucht hätte. Und so fahren sie dann in Massen entlang von Flüssen, Seen und Autobahnen, über Asphalt, Feldwege und Schotterpisten, mit dem Finger an der Glocke, damit alle, die wie ich ganz gemütlich durch die Natur spazieren, auf Kommando von der Strecke hüpfen und Platz machen. Studien belegen, dass mehr als 20 Prozent aller Befragten während der Pandemie an Gewicht zugelegt haben. Viele der Befragten gaben an, weniger häufig auswärts gegessen und daher vermehrt zu Hause gekocht zu haben. Da im Homeoffice und in der Freizeit die gewohnte Bewegung fehlte, konnten sich die Pfunde festsetzen. Auch bei mir. Und so kämpfe ich mit einem zusätzlichen Gurt, den ich weder praktisch noch schön finde und der sicher schneller da war, als er wieder weg sein wird. Zum Glück darf ich mich jetzt endlich wieder im Verein bewegen, und damit wird mein «Mitbewohner Schweinehund» ausgebootet. Mein Gurt wird damit hoffentlich bald entsorgt. Im Schrank hat es für ihn nämlich keinen Platz.
FRANZISKA KAUFMANN
FR.KAUF@GMAIL.COM