Wie das Militär Kochtalente fördert
28.05.2021 Reichenbach, Kiental, Bildung|SchuleJunge Topgastronomen tauschen das Gewehr mit dem Kochlöffel. Der Reichenbacher Sascha Heimann betreut sie in der neuen Rekrutenschule für Kochtalente.
YVONNE BALDININI
Rino Zumbrunn und Sandro Steger sind daran, Crevetten zu marinieren, Kartoffelstock zu stampfen und ...
Junge Topgastronomen tauschen das Gewehr mit dem Kochlöffel. Der Reichenbacher Sascha Heimann betreut sie in der neuen Rekrutenschule für Kochtalente.
YVONNE BALDININI
Rino Zumbrunn und Sandro Steger sind daran, Crevetten zu marinieren, Kartoffelstock zu stampfen und Suppe zu würzen. Lehrgangsleiter Sascha Heimann hat ihnen den Auftrag erteilt, ein Apéro riche zuzubereiten. Allerdings dürfen sie dafür nur vom Vortag übrig gebliebene Lebensmittel verwenden.
Im Angebot stehen etwa Rindfleisch, Kalbsragout und Dorschfilet – alles Reste des gestrigen Businesslunchs für einen französischen General. Zusätzlich sollen die zwei Rekruten eine Pilzterrinenvorspeise aus einer Fernsehsendung nachahmen.
Wer ein Gericht aus einem Rezeptbuch kocht, weiss: Es gelingt nie genau so, wie es abgebildet ist. «Gute Köche müssen zwischen den Zeilen lesen können, damit ein Mahl immer gleich wird», erläutert Sascha Heimann. Als Chef der Rekrutenschule für selektionierte Truppenköche gibt er Tipps, wie sich seine Zöglinge mit wenigen Handgriffen verbessern können. «Die Messer gehören nach jedem Einsatz schön aufgereiht. Hier darf nichts herumliegen», mahnt er. Zeitdruck und Drill scheinen den jungen Männern nichts auszumachen. «Wir sind den Stress gewohnt», meint Rino Zumbrunn.
Menus berechnen und Kräuter verwenden
Die zwei Rekruten eigneten sich zuerst auf dem kantonalen Waffenplatz in Freiburg, La Poya, das militärische Grundhandwerk an. Nach sechs Wochen wechselten sie nach Thun ins Ausbildungszentrum Verpflegung für den Truppenkochfachkurs mit allen Rekruten. Anschliessend feilten sie im separaten Lehrgang unter den Fittichen von Sascha Heimann an ihrer Kochkunst. Die beiden vertieften ihre Lebensmittelkenntnisse, übten, Menus zu berechnen und schulten ihr Auge für die ansprechende Präsentation. Sie lernten, vegane Desserts herzustellen oder mit Kräutern zu würzen. So fliesst etwa das erworbene Wissen über Sprossen beim heutigen Auftrag in die Blumenkohlsuppe. «Wir können hier sehr viel ausprobieren. Im normalen Restaurationsbetrieb haben wir dafür keine Zeit», erklärt Sandro Steger.
Häppchen unter Kritik
Nach genau zwei Stunden kostet Sascha Heimann die sechs Kreationen. «Das Ragout ist zu trocken. Da ging der Sud während der Zubereitung der anderen Gerichte etwas vergessen», bemerkt er. Beim Betrachten der Schüsseln mit Kartoffelstock, Blumenkohlsuppe und Dorsch fehlt ihm ein Farbtupfer. Das Rindfleisch hätte er lieber in einer Terrine oder einem Hamburger verpackt gesehen. «Es geht um Kreativität. Lieber zwei Apéro-Komponenten weniger und dafür einzelne mehr ausgestalten», rät Sascha Heimann, der Kritik «auf sehr hohem Niveau» übt. Die Armee profitiere von den Rekruten und sie wiederum könnten hier Erlerntes im Berufsleben direkt anwenden. «Es macht Spass zu sehen, wie sich die beiden entfalten. Ich spüre ihr Feuer.»
«Ohne Erwartungen ins Militär gegangen»
Dieselbe glühende Leidenschaft fürs Kochen erfasste Sascha Heimann als Achtklässler in der Kochschule. Obwohl die Zimmerei des Vaters näher lag, entschied er sich für die Kochlehre im Personalrestaurant des AC-Zentrums in Spiez. Später arbeitete er im Hotel National in Frutigen. Nach der Rekrutenschule als Truppenkoch überredeten ihn die Vorgesetzten zur Unteroffiziersschule. «Ich war mit keinerlei Erwartungen ins Militär eingetreten und hatte das nie angestrebt», erzählt der Reichenbacher, der noch die Fourier-Ausbildung anhängte. Nun konnte er die Verantwortung für Einkauf und Buchhaltung übernehmen. «Ich lernte viele gute Menschen kennen, die mich förderten.» Nach einem Jahr im Militär kochte Sascha Heimann im damals noch nicht umgebauten Hotel Griesalp. Anschliessend heuerte er für ein Jahr als Fourier beim Küchencheflehrgang in Thun an. Obwohl ihm vorschwebte, ein Restaurant zu eröffnen, überzeugten ihn seine Vorgesetzten für die zweijährige Berufsunteroffiziersschule. Seither bildet er die Küchenchefanwärter in Thun aus. «Kein Tag ist wie der andere, es gibt immer neue Herausforderungen», schwärmt er von seinem Beruf, den er nun seit fünfzehn Jahren ausübt.
Weitere Infos zur Rekrutenschule für selektionierte Truppenköche finden Sie in unserer Web-Link-Übersicht unter www.frutiglaender.ch/weblinks.html
ZUR PERSON
Der Berufsmilitär Sascha Heimann wohnt mit seiner Familie in Reichenbach im Haus, in dem er aufgewachsen ist. Seine Frau, auch von dort stammend, ist ebenfalls Köchin. Die Antwort auf die Frage nach seinem Hobby kommt wie aus dem Gewehr geschossen: Kochen – für Familie, Verwandte und Freunde. «Es ist etwas vom Schönsten. Ich liebe es, mit Menschen übers Kochen zu philosophieren.» Oft hilft ihm sein vier- beziehungsweise sechsjähriger Sohn. «Haben sie die Rüebli selbst geschnetzelt, dann schmecken sie ihnen auch», so der Familienvater. Das Lieblingsmenu des 37-Jährigen ist denkbar einfach: Pasta mit Tomatensauce. «Es muss nicht immer Gourmet sein. Das Wichtigste beim Essen ist für mich das Beisammensein.» Sascha Heimann mag zudem Sport. Er spielte früher Fussball und rennt öfters am Blüemlisalplauf mit.
YB
Rekrutenschule für selektionierte Truppenköche und SACT
Am Ausbildungszentrum Verpflegung in Thun werden jedes Jahr etwa 1200 Küchenfunktionäre für den Bedarf der ganzen Armee ausgebildet. Sie produzieren jährlich etwa 13 Millionen Mahlzeiten. Die Armee fördert in Thun auch junge, fachlich überragende gelernte Köchinnen und Köche. Sie können sich aufgrund der Leistungen in der Lehre und der Berufserfahrungen für die neue Rekrutenschule (RS) für selektionierte Truppenköche qualifizieren. Pro RS-Start haben höchstens drei Frauen und Männer aus der ganzen Schweiz diese Möglichkeit. Die Teilnehmer üben die Planung und Umsetzung grosser und kleiner Bankette. Die Armee führte das neue Rekrutenschulmodell seit 2018 als Pilotprojekt durch. Möglich macht diese gezielte Ausbildung die enge Zusammenarbeit mit dem Schweizer Kochverband. Gemeinsam mit dessen Gremium wählt Sascha Heimann die Rekruten aus.
Nach absolvierter RS können die Kandidaten Teil der zivilen Schweizer Junioren- oder Nationalmannschaft des Schweizer Kochverbandes werden. Die Armee will damit zudem den Nachwuchs für das «Swiss Armed Forces Culinary Team» (SACT) aufbauen. Es ist ihr Aushängeschild im Gourmetund Wettkampfbereich. Die Schweizer Auswahl erreichte an internationalen Wettbewerben immer wieder Spitzenplätze, so auch letztes Jahr in Stuttgart. Sascha Heimann ist SACT-Chef. Er plant und koordiniert die Kochwettbewerbe im In- und Ausland, rekrutiert und lehrt die 17 Milizmitglieder, die sonst alle in Spitzenrestaurants die Kochlöffel schwingen. Sie bleiben rund sechs Jahre im Team, bis sie ihre Diensttage abgegolten haben. Bereits ist der Reichenbacher mit der Vorbereitung des Wettbewerbs 2022 in Luxemburg beschäftigt. Das Organisieren der Verpflegung an Anlässen wie öffentlichen Messen gehört ebenso zu seinen Aufgaben als SACT-Chef.
YB