Für die normale Hirnleistung, die Blutbildung und den Bau der Nervenfasern spielt es eine Schlüsselrolle: das Vitamin B12. Zudem ist es in vielerlei Hinsicht einzigartig.

1956 wurde es als letztes der 13 Vitamine identifiziert und keines ist komplexer aufgebaut als das zur Gruppe der acht wasserlöslichen B-Vitamine gehörende B12. Weil es aus fünf Stickstoffverbindungen besteht, die um ein zentrales Cobalt-Ion herum angeordnet sind, lautet die chemische Bezeichnung «Cobalamin».

Was war das für eine Substanz, die eine seltene Form der Blutarmut zu heilen vermochte? Die Suche nach dem Vitamin war von mehreren Nobelpreisen gekrönt (s. Kasten). An der späteren erfolgreichen Synthese von Cobalamin im Labor waren internationale Forschungsteams während mehr als 12 Jahren beschäftigt, darunter eine Gruppe der ETH Zürich.

Was seine Aufgaben und Funktionen betrifft, ist Vitamin B12 ein wahres Multitalent. Als Co-Faktor vieler wichtiger Prozesse spielt es eine wesentliche Rolle für Wachstum und Zellneubildung, ist massgeblich beteiligt an der Bildung der Erbsubstanz DNA, an der Zellteilung, der Blutbildung und der Erneuerung von Zellen und Gewebe (Schleimhäute). Im Nervensystem fördert es insbesondere den Aufbau der schützenden Schicht rund um die Nervenzellen. Diese ist essenziell für eine normale neuronale Funktion. Störungen können einen Einfluss haben auf die Entwicklung von psychischen Beschwerden oder Alzheimer.

Abhängig von genügend Vitamin B12 ist auch die Weiterverwertung von Homocystein, einem Zwischenprodukt im Stoffwechsel. Diese Aminosäure gilt als Risikofaktor für Arteriosklerose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wenn zu viel davon vorliegt.

Fleisch ist der Hauptlieferant
B12 ist das Vitamin, für das der menschliche Tagesbedarf am geringsten ist. Es verfügt dafür aber über den reichhaltigsten Speicher aller Vitamine. Geschätzte zwei bis vier Gramm werden vor allem in der Leber bereitgehalten. Eine Theorie dafür lautet, dass der Körper diesen Vorrat entwickelte, weil Fleisch, der Hauptlieferant von Cobalamin, bei unseren Vorfahren seltener auf dem Speiseplan stand. Die moderne Theorie hält dagegen, dass der Speicher so üppig ausfalle, weil der Fleischkonsum in den Industrieländern übermässig hoch sei.

Einzig Mikroorganismen in tierischen Lebewesen können Vitamin B12 in nennenswerten Mengen produzieren. Den Tieren selbst wie auch dem Menschen fehlen die nötigen Enzyme, um die komplexe Verbindung zu synthetisieren. Zuverlässige Quellen sind also Fleisch, Fisch, Milchprodukte und Eier. Der höchste Gehalt findet sich in der Rinderleber, aber auch 100 g Fisch (Hering, Makrele, Lachs, Forelle) können den Tagesbedarf decken. Wichtige Quellen in der täglichen Ernährung sind Milchprodukte und Eier, da sie in der Regel regelmässig auf den Tisch kommen.

Dagegen enthalten Wurzelgemüse oder vergorene Lebensmittel (Sauerkraut, Bier) zu geringe Mengen, um zu einer ausreichenden Versorgung beizutragen (siehe Weblinks: Nachschlagetool Vitamin B12).

Damit Cobalamin nicht bereits im Magen zersetzt wird, schützt ein spezielles Transporteiweiss (Glykoprotein) der Magenschleimhaut das Vitamin in der Nahrung. Dieser sogenannte interne (intrinsische) Faktor bindet Vitamin B12 (den extrinsischen Faktor) und bringt es zu den Aufnahmestellen (Rezeptoren) im unteren Dünndarm. Steht genügend des internen Faktors zur Verfügung, ist die Aufnahmekapazität hoch, fehlt er hingegen, können sich Mangelerscheinungen entwickeln. Über das Blut gelangt Vitamin B12 in die Leber, wo der benötigte Anteil in seine aktiven Formen umgewandelt und der grösste Teil der nicht gebrauchten Menge gespeichert wird.

Mangelerscheinungen können lange unentdeckt bleiben
Die empfohlene tägliche Zufuhr an Vitamin B12 beträgt für Erwachsene ab 13 Jahren täglich 4 µg (Mikrogramm), für Schwangere und Stillende etwas mehr (5,5 µg) und für Kinder je nach Alter etwas weniger (Säuglinge 0,5 µg, danach ansteigend bis 3,5 µg für Kinder bis 12 Jahre). Normalerweise deckt eine ausgewogene Ernährung den Bedarf.

Ein leichter Vitamin-B12-Mangel löst in der Regel keine Beschwerden aus. Bei langfristig ungenügender Zufuhr oder eingeschränkter Aufnahme können Mangelerscheinungen zu Tage treten, oft jedoch erst nach Jahren. Schwere Verläufe äussern sich mit Blutarmut, neurologischen Symptomen (Kribbeln, Brennen, Gedächtnisproblemen, Unsicherheit beim Gehen, Lähmungserscheinungen) oder psychischen Störungen wie Müdigkeit, Benommenheit oder depressive Verstimmung. Untersuchungen deuten darauf hin, dass ein Mangel an Vitamin B12 als möglicher Risikofaktor für die Entstehung von Alzheimer anzusehen ist.

Gründe für einen Mangel finden sich auf verschiedenen Ebenen. Wer bewusst auf tierische Lebensmittel verzichtet, muss die Vitamin-B12-Versorgung gut im Auge behalten. Ältere Menschen mit weniger Appetit und einem unausgewogenen Speisezettel können ebenfalls Gefahr laufen, einen Mangel zu erleiden.

Aufgrund des komplexen Stoffwechsels gelten Magen-Darm- oder Lebererkrankungen als einschneidende Risikofaktoren. Ein wesentlicher Teil der über Fünfzigjährigen leidet, oft symptomlos, an einer chronischen Magenentzündung (Gastritis). Dadurch fehlen die wichtigen Faktoren für den Transport und die Aufnahme von Vitamin B12. Ebenfalls können die weit verbreitet verordneten Magenschoner (Säureblocker) das empfindliche Zusammenspiel zwischen Vitamin B12 und Stoffwechsel stören.

Eine gesunde Leber speichert Vitamin B12 für einen Bedarf von mehreren Monaten bis zu zwei Jahren. Eine durch anhaltende Belastungen (Medikamente, Alkohol) oder wegen einer chronischen Krankheit geschwächte Leber kann diese Speicherfunktion nicht mehr optimal ausüben.

Die im Bereich Mikronährstoffe renommierte Schweizer Stiftung «Burgerstein Foundation» resümiert in einem Beitrag über Vitamin B12: «Der Kreis von Personen mit einem möglichen Vitamin-B12-Mangel-Risiko wird nicht zuletzt wegen des Trends zu einer fleischarmen Ernährung immer grösser. Neben älteren Menschen und Patienten mit bestimmten Krankheitsbildern und Medikationen sind auch immer häufiger gesunde Erwachsene, Jugendliche und sogar Kinder von einem Vitamin-B12-Mangel betroffen.»

Mehr Energie?
Ein schwerer Vitamin-B12-Mangel wird mit einer alle zwei bis drei Monate verabreichten, hochdosierten Depotspritze behandelt. Allfällige Lücken aufgrund der Ernährungsweise oder ein erhöhter Bedarf kann mit einem entsprechenden Nahrungsergänzungsmittel oder einem Multivitaminpräparat (B-Komplex) gedeckt werden.

Cobalamin gilt als das Vitamin für Energie sowie starke Nerven und soll auch Stress mindern. Entsprechende Produkte sind zugelassene Medikamente bei Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, nervösen Spannungszuständen sowie in der Rekonvaleszenz.

Klingende Begriffe wie «vigor» (lat. Lebenskraft, Frische) oder «Sprint» im Namen deuten auf ihre Verwendung als «Aufbaukur für geistige und körperliche Energie» oder «für mehr Energie im Alltag» hin und versprechen «Erholung des geschwächten Organismus und des Nervensystems».

BEAT INNIGER, OFFIZIN-APOTHEKER FPH, ADELBODEN

Mehr Informationen zum Vitamin B12 finden Sie unter www.frutiglaender.ch/web-links.html

Nobelpreiswürdig
• 1934: George Whipple, George Minnot, William Murphy (Nobelpreis für Medizin) entdeckten, dass sich durch das Verspeisen von Leber eine tödliche Blutarmut behandeln liess. Erst Jahre später wurde Vitamin B12 isoliert und als verantwortlicher Faktor identifiziert.
• 1957: Alexander Todd erhielt den Nobelpreis für Chemie für die Isolierung von Vitamin B12.
• 1964: Dorothy Hodgkin wurde ebenfalls mit dem Nobelpreis für Chemie geehrt, weil sie die genaue Struktur des biologisch wichtigen Vitamins entschlüsselte.
• 1965: Ein weiterer Nobelpreis für Chemie ging an Robert Woodward. Seine Synthese von Vitamin B12, einer hochkomplexen Struktur, gilt als Meilenstein der organischen Chemie.

BI

Der Exot unter den Vitaminen

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