Die Erschliessung der ganzjährig bewohnten Spissen war für die Gemeinde Frutigen stets eine Herausforderung. Angedacht war sogar einmal eine Seilbahnverbindung.

HANS RUDOLF SCHNEIDER
In seiner Kolumne vom letzten Dienstag hadert Generalabo-Inhaber Toni Koller mit der unbefriedigenden ÖV-Anbindung von Adelboden und trauert dem kurz vor dem Ersten Weltkrieg geplanten Eisenbahnanschluss des Tourismusortes nach. Die Erschliessung des Lohnerdorfes war auch in späteren Jahren immer wieder ein gewichtiges Thema, meist ging es um die Verbesserung der Strasse und um das nötige Geld. Ab 1948 wurde praktisch jedes Jahr ein Teilstück der Kantonsstrasse ausgebaut oder verbessert, bis 1989 endlich der heutige Zustand erreicht war. Die Erschliessung der Spissen ist bis heute aktuell geblieben.

Selbstfahrende Kabinen mit Dieselantrieb
Doch nicht nur die Politiker beschäftigten sich mit dem Verkehr im Engstligtal, auch lokale Unternehmer dachten darüber nach. Kürzlich ist ein dünnes Dossier entdeckt worden, das eine weitgehend unbekannte Idee von Ende der 1960er-Jahre dokumentiert. Der Reichenbacher Seilbahnbauer Jakob Wyssen war bekannt als innovativer Konstrukteur. Seine Materialseilbahnen für die Forstwirtschaft und Baustellen sind heute weltweit ein Begriff. Er hatte auch immer wieder Ideen für neue Produkte. Natürlich fanden nicht alle Abnehmer. Ein Beispiel dafür ist die «Seilstrasse» von Frutigen nach Adelboden.
Im erwähnten Dossier im Archiv der Reichenbacher Seilbahnfirma ist ein Schreiben vom Juli 1967 vorhanden, in dem ausführlich die Vorzüge einer Seilbahn von Frutigen nach Adelboden beschrieben werden. Jakob Wyssen fragte die Gemeinden, wie sie sich zu einem Prototyp einer Bahn mit selbstfahrenden, dieselbetriebenen Kabinen stellen würden. «Diese neue Seilbahn kann ähnlich angelegt werden wie Strassen und Eisenbahnen, deshalb nennen wir sie ‹Seilstrasse›.» Rechts- und Linkskurven sowie Hügel und Täler seien kein Problem, sie überspanne Schluchten, Sumpfund Erdrutschgebiete über Distanzen bis zu 1000 Meter ohne Stützen. Und auch Abzweigungen, Ausweichstellen und Stationen könnten ähnlich wie bei der Eisenbahn vorgesehen werden. In Abständen von etwa zwei Minuten würden so viele Kabinen fahren, wie Bedarf dafür vorhanden sei. Da sich der Antrieb auf dem Dach jeder Kabine befinden würde, müssten keine Antriebstationen gebaut und nur ein Tragseil verwendet werden.

Interesse in Peru und Indien
Dass es nicht nur bei der Idee blieb, beweist eine Kabine, die heute noch auf dem Vorplatz der Firma steht. Diese wurde auf der firmeneigenen Teststrecke auch montiert, wie Werbefotos und ein Film dokumentieren. Wie viel das Ganze gekostet hätte, wird aus diesem Schreiben nicht ersichtlich. Eine vergleichbare Offerte für eine Firma in Immensee (Gemeinde Küssnacht) für eine Distanz von 12 km Luftlinie und 30 Kabinen wurde mit knapp über einer Million Franken erstellt. Dies beinhaltete jedoch nicht die Fundamente, den Transport und die Montage. Wo diese für den Materialtransport vorgesehene Bahn hätte entstehen sollen, ist unklar. Auch weitere Angebote sind überliefert, so 1969 die «Skyroad» für Indien oder für Holland. Die dortige Strecke ist mit 6000 Meter angegeben. Geplant war eine Kabine für 15 Personen mit einem 45 PS starken und luftgekühlten Dieselmotor. Dagegen nimmt sich eine grobe Offerte für eine «Skyroad» in Peru geradezu gewaltig aus: Von Lima aus sollte bis in die Berge eine Strecke von 200 km erstellt werden. Dazu wären 600 Stützen nötig gewesen. Kosten inklusive 500 Kabinen: 25 Millionen Franken.

Für Touristen und Vieh
Als Erstes wandte sich der geschäftstüchtige Seilbahnbauer mit seiner Idee 1967 aber an die Gemeinderäte aus den Spissen. Er betonte, dass sein Projekt vom Bahnhof Frutigen bis zum Autobahnhof in Adelboden nicht nur die Strasse entlasten und den Tourismus fördern, sondern explizit auch die Spissen erschliessen würde. «Die an der Route wohnende Bevölkerung würde ein öffentliches Verkehrsmittel mit Anschluss an die BLS in Frutigen und an die vorhandenen Strassen erhalten», warb er. Gerade Familien, die sich kein eigenes Auto leisten könnten, würden sich sicher freuen. Und jeder Spiss hätte mindestens eine Haltestelle, da sei man frei bei der Konstruktion. Da mit seiner Seilstrasse auch Material transportiert werden könne, würden auch Kleinunternehmer in der abgelegenen Region profitieren. Wyssen rechnete mit staatlichen Subventionen analog zu denen im Strassenausbau, da die Bahn ganzjährig bewohnte Gebiete erschliesse. Nicht zuletzt würden nach dieser Bewährungsprobe auch weitere Bahnen gebaut werden können und so Arbeit bringen.

Der Zeit voraus
Wie die beiden angeschriebenen Gemeinderäte Theodor Bircher von Rinderwald und Gottlieb Trachsel von Gempelen und schliesslich die Gemeinden selbst reagiert haben, ist aus den aktuell vorhandenen Unterlagen nicht ersichtlich. Allerdings wurde keines der bekannten Projekte jemals realisiert.

Jakob Wyssen wollte mit seiner Idee schlecht oder gar nicht erschlossene Regionen anbinden. Heute sind ganz im Gegensatz dazu in verschiedenen dicht besiedelten Städten wie Rio de Janeiro (Brasilien) oder Ankara (Türkei) Seilbahnen für den Nahverkehr im Einsatz. In Bolivien sind beispielsweise La Paz und die Nachbarmetropole El Alto über eine Distanz von elf Kilometern durch die Luft verbunden. Insgesamt gibt es dort zehn Linien mit einer täglichen Kapazität von 300 000 Passagieren.

Die Reichenbacher Firma war aber ihrer Zeit voraus und hat sich nach diesem erfolglosen Projekt fortan ganz dem Material- statt dem Personentransport gewidmet.

Die nie realisierte «Seilstrasse»

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