Ein Leben für die Post
01.06.2021 AdelbodenNach 48 Jahren beim «gelben Riesen» hatte Ruedi Zimmermann Ende Mai seinen letzten Arbeitstag. Der Adelbodner übte innerhalb des Betriebs so manche Funktion aus.
KATHARINA WITTWER
«Briefträger, das wäre etwas für mich», sagte sich Ruedi Zimmermann, als es um ...
Nach 48 Jahren beim «gelben Riesen» hatte Ruedi Zimmermann Ende Mai seinen letzten Arbeitstag. Der Adelbodner übte innerhalb des Betriebs so manche Funktion aus.
KATHARINA WITTWER
«Briefträger, das wäre etwas für mich», sagte sich Ruedi Zimmermann, als es um die Berufswahl ging. 1973 liess er sich in Adelboden und Bern während eines Jahres zum uniformierten Zustellbeamten ausbilden. Obschon die Arbeit in der Bundesstadt für den Bergler ganz anders war, als er sich das vorgestellt hatte, blieb er zehn Jahre im Unterland. Mal sortierte er im Nachtdienst Pakete, mal war er bei der Bahnpost eingesetzt, dann wieder fungierte er als Briefträger-Ferienablöser in einer Vorortsgemeinde und arbeitete später in der Bibliothek, die der damaligen PTT-Generaldirektion (Post, Telefon, Telegraph) unterstellt war.
Mit der Zweitausbildung «Betriebsassistent» in der Tasche kehrte er in die Heimat zurück. Bei der Post Adelboden arbeitete Zimmermann am Schalter. Der inzwischen junge Familienvater stieg die Hierarchieleiter empor und vertrat vorerst als «Hauptkassier» den Posthalter. Mit der ständigen Umstrukturierung verlagerte sich sein Arbeitsfeld immer mehr in den Hintergrund, wo er vor allem organisatorisch tätig war. Als 2005 Schalter und Zustelldienst getrennt wurden, übernahm er bis zu seiner Pensionierung die Teamleitung der Zustellfiliale und ging ab 2011 wieder auf Posttour.
Der Pöstler als Wegbegleiter
Die Uniform der Briefträger bestand zu Beginn seiner Lehrzeit aus einem dunkelblauen Wollstoff und einem steifen Hut. «Ich glaube, den habe ich gar nie getragen», erinnert sich Ruedi Zimmermann. Mit Bargeld kommt ein Pöstler nur noch selten in Berührung. Anders war es, als einmal monatlich die AHV und den Bauern einmal im Jahr die Subventionen ins Haus gebracht wurden. Anstatt im Zustellbuch unterschreiben die Kunden für eingeschriebene Sendungen und Nachnahmen nun auf dem Smartphone.
In Adelboden waren die Pöstler schon früh motorisiert. Erst schaffte die Post Roller an, die mühsam auf einen Ständer gestellt werden mussten und nicht wintertauglich waren. Dann kam der Fiat Panda, gefolgt von grösseren VW Caddys und dem praktischen Elektro-Dreiradfahrzeug mit grosser Ladefläche.
«Sortierten und vertrugen wir früher mehrheitlich Briefe und Zeitungen, hat heute der Anteil der Päckli markant zugenommen. Auch ist der Zeitdruck grösser geworden. Trotzdem habe ich mir oft Zeit für einen kurzen Schwatz genommen.» Für viele alleinlebende Senioren und Seniorinnen ist nämlich der Pöstler oft tagelang die einzige Kontaktperson. «Zu einigen Familien habe ich eine freundschaftliche Beziehung aufgebaut, an ihrem Leben teilgenommen und einige sogar auf dem letzten Weg begleitet», blickt Zimmermann zurück.
«Was machen wir mit der Kirschtorte?»
Das eine oder andere Erlebnis wird Zimmermann stets in Erinnerung bleiben. Hund hat ihn nur einer gebissen – während der Lehrzeit in Adelboden. Als nach dem Sturm Lothar der Strom mehrere Tage ausfiel, war die Arbeit am Schalter vor allem wegen der mangelnden Beleuchtung mühsam. Einzahlungen wurden damals noch nicht elektronisch erfasst. Mit einem batteriebetriebenen Rechner kam man aber über die Runden.
Hingegen war Zimmermanns Organisationstalent gefragt, als vor dem Ski-Weltcuprennen 2018 ein Teil der Adelbodenstrasse abrutschte. Mit einem Postfahrzeug fuhr er am Freitag früh via alte Strasse nach Frutigen und war mit den Zeitungen und Briefen rasch zurück. Nicht so seine Kollegen, die kurze Zeit später die Päckli nach Adelboden bringen wollten. Auf der Umfahrungsroute herrschte pures Chaos und sie hatten Mühe durchzukommen. Mit Hängen und Würgen klappte es doch und die Pöstler gingen am Nachmittag auf eine Extra-Zustelltour. Eine Familie war sehr dankbar, als die dringend erwartete Zahnspange für die Tochter doch noch vor dem Wochenende ankam. Es gehöre zum Berufsstolz, die Post pünktlich abzuliefern, sagt Zimmermann.
Es muss an einem Samstag in den 1970er-Jahren gewesen sein, als eine per Post angekommene Zuger Kirschtorte wegen ungenauer Adresse nicht ausgeliefert werden konnte. «Sie kann ja nicht übers Wochenende hier im Büro bleiben!», befand man. Also wurden Messer und Teller geholt. Als den Angestellten bereits das Wasser im Mund zusammenlief, erkundigte sich ein Feriengast am Schalter nach seiner erwarteten Süssigkeit. «Wie unser Vorgesetzter die Geschichte zu einem (glücklichen) Ende gebracht hatte, weiss ich nicht mehr.»
Seinem dritten Lebensabschnitt sieht der Neurentner mit Freuden entgegen. Die Zeit wird er mit Wandern, Velofahren, ein bisschen Gartenarbeit und im Winter mit Skifahren verbringen. Da der Druck nun weg ist, nimmt er sich womöglich Zeit, mit seinen «früheren Kunden» zu «dorfen».