QUERGESEHEN – Eisenbahnträume
01.06.2021 KolumneEisenbahnträume
Als Besitzer eines Generalabonnements fahre ich immer wieder neugierig im Land herum. Und als Adelbodner nehme ich mir dabei gerne auch mal andere Ferienorte vor. Dabei ist es oftmals ernüchternd festzustellen, wie gut diese – verglichen mit Adelboden ...
Eisenbahnträume
Als Besitzer eines Generalabonnements fahre ich immer wieder neugierig im Land herum. Und als Adelbodner nehme ich mir dabei gerne auch mal andere Ferienorte vor. Dabei ist es oftmals ernüchternd festzustellen, wie gut diese – verglichen mit Adelboden – an den öffentlichen Verkehr angebunden sind. Nach Grindelwald oder Wengen fährt jede halbe Stunde ein Zug, ob Saison oder nicht. Nach Gstaad und Zermatt sowieso, auch nach Fiesch fährt halbstündlich die Bahn. An die Lenk gelangt man (mit etlichen Anschlüssen zur halben Stunde) zwar meist «nur» im Stundentakt. Aber das Entscheidende ist: Auch an die Lenk führt eine attraktive Eisenbahn. Darin hat es immer genügend Platz, und zeitgemässes Rollmaterial bietet hohen Fahrkomfort.
Wie dürftig nimmt sich dagegen der öffentliche Verkehr nach Adelboden aus! Nebst ein paar Zusatzverbindungen am frühen Vormittag und am späteren Nachmittag gibt es pro Stunde gerade mal einen Bus. Und der ist erfahrungsgemäss schnell übervoll: Auch ausserhalb der Saison drängen sich etwa Schülerinnen und Schüler oder (nicht vorhersehbare) Reisegruppen in das Gefährt, sodass Sitzplätze nicht selten Mangelware sind. Jedenfalls bis zu dem Moment, in dem der eine oder andere vielleicht an einer der 24 (!) Haltestellen wieder aussteigt. Für einen Kurort von der Grösse Adelbodens ist diese ÖV-Erschliessung vergleichsweise miserabel.
Das ist nun allerdings kein Vorwurf an die AFA. Ihre Dienstleistung funktioniert zuverlässig, ihre modernen Fahrzeuge erfüllen alle Erwartungen. Und die Fahrt auf der gut ausgebauten Strasse verläuft zügig. Die Schwierigkeit liegt in der begrenzten Beförderungskapazität eines Busses – nur etwa 50 Leute passen da sitzend hinein. Tauchen deutlich mehr Passagiere auf, bräuchte es einen zweiten Bus, einen zweiten Chauffeur. Das kostet. Also belässt man es meist bei einem Fahrzeug; schliesslich ist der Andrang schwer vorherzusagen. Zu jeder Zeit weitere Busse auf Pikett zu halten, wäre betriebswirtschaftlicher Leerlauf. So lässt man es halt drauf ankommen, dass nicht wenige ÖV-Nutzer das Engstligtal im Stehen durchqueren müssen.
Klar ist auch: Busverbindungen ergeben nur einen Sinn, wenn in Frutigen zur gleichen Zeit ein Zug ankommt. Doch der Halbstundentakt des «Lötschbergers» oder IC-Halte in Frutigen sind bestenfalls Zukunftsmusik.
Der Ursprung der unbefriedigenden ÖV-Anbindung liegt also nicht bei der AFA. Er liegt am Anfang des letzten Jahrhunderts: Eine Eisenbahnlinie Frutigen-Adelboden war fertig geplant und stand kurz vor dem Bau, als der vermaledeite Erste Weltkrieg ausbrach. Der Autobusbetrieb, der noch während des Kriegs in die Gänge kam, galt zwar zunächst nur als Provisorium. Doch nach 1918 blieb die Konjunktur schwach, die Bahnfinanzierung war illusorisch geworden. So etablierten sich die Busse – und Adelbodens Eisenbahntraum war und ist dahin.
TONI KOLLER
TONI_KOLLER@BLUEWIN.CH