Stattliches Haus der einstigen Zurbrügg-Dynastie
22.06.2021 FrutigenSERIE, TEIL 3 Wo einst die Postkutsche hielt, der Notar Pferde einspannen liess, Mägde im Garten arbeiteten und bis zur Eröffnung der Umfahrungsstrasse reger Durchfahrtsverkehr herrschte, ist es inzwischen ruhiger geworden. Das stolze Haus sticht dem Betrachter aber noch heute ins ...
SERIE, TEIL 3 Wo einst die Postkutsche hielt, der Notar Pferde einspannen liess, Mägde im Garten arbeiteten und bis zur Eröffnung der Umfahrungsstrasse reger Durchfahrtsverkehr herrschte, ist es inzwischen ruhiger geworden. Das stolze Haus sticht dem Betrachter aber noch heute ins Auge.
KATHARINA WITTWER
Der Amtsnotar zu Reichenbach, Jakob Zurbrügg, entstammte einer betuchten und einflussreichen Familie. Ihr gehörten Landwirtschaftsland, Gebäude, Wald und Alpen in Aeschi, Emdtal, Scharnachtal und im Kiental. Auch das «Rössli» (damals noch keine Wirtschaft) war im Besitz von Verwandten. Nebst seiner Tätigkeit als Notar bekleidete Jakob Zurbrügg weitere Ämter.
1842 liess er an der heutigen Emdtalstrasse 20 ein herrschaftliches Haus bauen. Geld muss dabei keine Rolle gespielt haben, denn punkto Baumaterial schien nur das Beste gut genug gewesen zu sein. Das hohe Kellergeschoss besteht aus Rauhwacke, einem Zellendolomit, der in kleinen Mengen auch im Suldtal abgebaut wurde. Fenster- und Türstürze sowie Treppenstufen sind aus Granit. «Möglicherweise wurde dieses Gestein von der Grimsel hertransportiert», mutmasst der heutige Besitzer, Fritz Oswald. Für die 2 x 2,5 Meter grosse Platte vor der Eingangstüre (südseitig des Hauses) und für den Küchenboden wurde Schiefer verwendet.
Nicht nur Kartoffeln gelagert
In der zweiten Wohnung lebten wahrscheinlich Angehörige des ledigen Erbauers. Von 1856 bis 1921 führte nämlich stets ein Familienmitglied die Postablage. In dieser Zeit befand sich das Postbüro im untersten Wohngeschoss neben der Küche. Erst als ein «Fremder» Posthalter wurde, lagerte man die Räumlichkeiten ins Kellergeschoss aus.
Obwohl das Haus am Hang liegt, ist es komplett unterkellert. Wahrscheinlich befand sich in beiden strassenseitigen Kellern eine Uhrmacherei. Dort wurden «Kuhschwanz-Wanduhren» zusammengebaut.
Eine Wasserleitung, aus der eigenen Quelle weiter oben am Hang gespeist, führte direkt in einen der bergseitigen Keller. Der grosse Waschzuber zeugt davon, dass hier die Mägde Wäsche wuschen. In einer einzigen schriftlichen Quelle ist eine Bäckerei erwähnt. Ob im heute noch vorhandenen Backofen nur für die Hausbewohner oder zusätzlich für den Verkauf gebacken wurde, ist ungewiss. Im hintersten, gewölbten Keller herrschen ganzjährig sieben Grad Celsius – eine ideale Temperatur zum Lagern von Kartoffeln, Obst, Wein und weiteren Vorräten.
Neuer Besitzer – andere Bedürfnisse
Im Inneren des Gebäudes führte eine Treppe vom Keller bis hinauf ins Dachgeschoss. In den nicht heizbaren Dachkammern schliefen die Dienstleute. Arbeit im Haus, in der Küche, im grossen Gemüsegarten und mit den Hühnern gab es genug. Vielleicht war auch ein «Karrer» (Rossknecht) angestellt, denn der Notar war seinerzeit bestimmt nicht zu Fuss unterwegs. Der bergseitige Pferdestall ist inzwischen einer Remise gewichen.
Wer unter dem Dach einen Firstbalken sucht, wird nicht fündig. Die hier angewendete Konstruktion ist ein sogenanntes Sprengwerk. Das ist ein Tragwerk, bei dem die auf dem Trägerbalken lastende Kraft durch schräge Streben aufgenommen wird.
1963 konnte Fritz Oswald das Haus erwerben. Umgehend baute er die Küche um und richtete eine Zentralheizung ein. Statt in der Küche den Holzherd einzufeuern, kann er seither nur den Ölofen einschalten. Mitte der 1970er-Jahre baute er die Wohnung im Obergeschoss aus und vermietet sie seither. Die kantonale Denkmalpflege hat das Haus als schützenswert eingestuft.