BLICK IN DIE WELT – Skandal mit Ansage
30.07.2021 KolumneSkandal mit Ansage
Für einmal ist nicht das Problem, dass ein Bild ohne Kontext eine falsche Botschaft vermittelt. Sondern dass das Bild nur mit dem Kontext problematisch ist. Es geht um ein Foto, das letzte Woche im deutschen Erftstadt aufgenommen wurde. Und es zeigt den ...
Skandal mit Ansage
Für einmal ist nicht das Problem, dass ein Bild ohne Kontext eine falsche Botschaft vermittelt. Sondern dass das Bild nur mit dem Kontext problematisch ist. Es geht um ein Foto, das letzte Woche im deutschen Erftstadt aufgenommen wurde. Und es zeigt den Kanzlerkandidaten Armin Laschet (der gleichzeitig auch Ministerpräsident des betroffenen Bundeslands Nordrhein-Westfalen ist) fröhlich lachend. An sich sind lachende Politiker ja in der öffentlichen Wahrnehmung kein Problem. In diesem Falle aber schon: Laschet lachte nämlich, während gleichzeitig wenige Meter vor ihm der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine Rede für die Hochwasserbetroffenen von Erftstadt hielt. Er versprach Solidarität und die Hilfe des Bundes.
Es dauerte nicht lange, bis die Bilder des lachenden Laschets in Deutschland harsch kritisiert wurden. Gerade als Kandidat fürs Kanzleramt steht er natürlich unter genauer Beobachtung der Öffentlichkeit.
Die «NZZ» hat diesen Vorfall in der vergangenen Woche aus meiner Sicht wohltuend realistisch kommentiert: Natürlich sei der Auftritt von Laschet nicht sehr intelligent gewesen. Das Problem liege aber nicht darin, dass er keine Empathie für die Flutopfer zeige, sondern dass er sich als Spitzenkandidat zu wenig charismatisch darstellen könne. Weiter heisst es: Wäre Laschet gar nicht erst nach Erftstadt gereist, hätte das vermutlich ähnlich gehässige Kommentare ausgelöst.
Auch für eine zweite Kanzlerkandidatin gibt es «Enthüllungen»: Annalena Baerbock zeigt sich ebenfalls nicht als sehr gewiefte Krisenmanagerin. Bei ihr geht es allerdings nicht um ein Lachen, sondern um Ungereimtheiten im Lebenslauf und Plagiatsvorwürfe in einem Buch, das sie geschrieben hat.
Sowohl die Vorwürfe an Baerbock als auch die Kritik an Laschet hat man erwarten können. Jedes Mal, wenn die Bevölkerung einen Spitzenpolitiker wählt, passiert genau das: Vor der Wahl wird die Vergangenheit der Kandidaten aufs genauste durchleuchtet und jeder Schritt, den sie tun, wird bewertet.
Man könnte das jetzt als negativen Effekt von Wahlen betrachten, weil gerade die aktuellen Vorwürfe gefühlt in jedem zweiten Wahlkampf irgendeinem Kandidaten gemacht werden. Ich bin aber geneigt, diese tatsächlich wenig ergiebigen Diskussionen als Kollateralschaden hinzunehmen.
Denn die Diskussionen um die Auftritte und Taten der deutschen Spitzenpolitiker zeigen mir vor allem, dass die oft gescholtenen Medien ihre Aufgabe wahrnehmen. Wer Verantwortung für einen Staat übernehmen will, für den gelten die härtestmöglichen moralischen Massstäbe. Und genau deshalb ist es wichtig, dass die Politiker unliebsame Dinge nicht einfach unter den Tisch kehren können, sondern sich dafür rechtfertigen müssen. Meist findet man dabei nicht wirklich relevante Informationen, von Zeit zu Zeit aber schon – und dann sind sie zentral.
Ausserdem gibt es neben dem Kollateralschaden der nicht relevanten Diskussionen noch einen positiven Nebeneffekt dieser Prüfung: Die Öffentlichkeit kann live und unverfälscht beobachten, wie mögliche künftige Bundeskanzlerinnen oder Bundeskanzler auf Kritik und Angriffe reagieren. Kritikfähigkeit ist besonders in Deutschland und gerade in diesen Zeiten wohl eine der wichtigsten Eigenschaften, die ein Spitzenpolitiker mitbringen muss.
SEBASTIAN DÜRST
SEBASTIAN.DUERST@BLUEWIN.CH