NORMAL – Lehrabschluss – Stress – Freude – wie weiter?
13.07.2021 KolumneLehrabschluss – Stress – Freude – wie weiter?
Jedes Jahre vor den Sommerferien sind ganz viele Jugendliche nervös und gestresst, zum Teil ist auch etwas Angst dabei. Die Lehrabschlussprüfung und die Stellensuche stehen an, der Stresslevel steigt. Eine gute ...
Lehrabschluss – Stress – Freude – wie weiter?
Jedes Jahre vor den Sommerferien sind ganz viele Jugendliche nervös und gestresst, zum Teil ist auch etwas Angst dabei. Die Lehrabschlussprüfung und die Stellensuche stehen an, der Stresslevel steigt. Eine gute Vorbereitung kann beruhigen, leider aber nicht immer, denn man weiss nicht, was gefragt ist, wie die Beurteilung sein wird oder wie hoch die Messlatte gelegt werden wird. Aber nicht nur die Abschlussprüfung steht in diesem Lebensabschnitt an, zusätzlich und zeitgleich muss man sich noch um eine erste Anstellung als Berufsfachfrau oder -mann bewerben. Auch hier gibt es wiederum viele Unsicherheiten. Kurz gesagt: Es handelt sich um einen wichtigen und schwierigen Lebensabschnitt.
In der Stiftung Bad Heustrich und anderen Institutionen absolvieren jedes Jahr Jugendliche mit einer Lernschwäche oder kognitiven Beeinträchtigung eine berufliche Ausbildung. Diese Jugendlichen benötigen besondere Begleitung und eine angepasste Lehrsituation. Die Prüfungssituation am Ende der Ausbildung ist genauso herausfordernd, intensiv und die Freude sowie Erleichterung über die bestandene Prüfung ist natürlich genauso gross wie bei allen Lernenden. Sich als Schreiner*in, Gärtner*in oder als Köch*in bezeichnen zu dürfen macht stolz, stiftet Identität und gibt ein Zugehörigkeitsgefühl.
Für mich ist es immer eindrücklich, diese wichtige Lebensphase mitzuerleben. Wenn ich den Lernenden vor der Prüfung im Betrieb begegne, sehe ich die nervösen, angespannten Augen, sehe die Erleichterung, wenn die Prüfungssequenz vorbei ist, und sehe die Freude, wenn ein gutes Resultat feststeht. Auch die Anspannung vor dem Schnuppern an der neuen Arbeitsstelle ist oft sehr hoch. Einzelne Lernende erzählen mir, wohin es zum Schnuppern geht, was sie erwarten, und berichten mir nach der Schnupperzeit mit Erleichterung, wenn es geklappt, oder mit Besorgnis, wenn es nicht gepasst hat. Bei den meisten Lernenden wechselt oft nicht nur die Arbeit, sondern auch die Wohnsituation.
Damit die Lernenden der Stiftung Bad Heustrich eine Ausbildung absolvieren können, benötigen sie Unterstützung auf verschiedenen Ebenen. Sie brauchen mehr Begleitung und Anleitung, erledigen einfachere Arbeiten, müssen diese immer wieder üben und trainieren können. Ihre tägliche Arbeitsleistung entspricht oft nicht jener eines Lernenden in einer EBA- oder EFZ-Ausbildung. Dies ist für den Lehrbetrieb mit erhöhtem Aufwand verbunden und kann verständlicherweise im Geschäftsalltag nicht immer geleistet werden. Daher ist es für mich äusserst wichtig, dass Menschen mit einer Beeinträchtigung an speziellen Ausbildungsorten wie der Stiftung Bad Heustrich mit entsprechend ausgebildeten Berufsbildner*innen eine ihnen angepasste Ausbildung absolvieren können. Durch die Ausbildung werden die Lernenden mit einer Beeinträchtigung oder Lernschwäche integriert, gefördert und erfahren durch ihre Arbeit wie alle anderen Lernenden Wertschätzung. Integration, Teil sein, akzeptiert sein sind hier die entscheidenden Begriffe. Nur wenn jemand akzeptiert ist und entsprechend seinen aktuellen Möglichkeiten gefördert oder ausgebildet wird, kann er lernen und sich weiterentwickeln.
Also ist alles ganz normal.
ARNOLD SIEBER
ARNOLD.SIEBER@GMAIL.COM