PUNKTLANDUNG – Endlich Nischen auftischen!

  20.07.2021 Kolumne

Endlich Nischen auftischen!

Schluss mit den Kreuzfahrtschiffen im Canal Grande in Venedig! Schluss mit dem Reisebusstau auf dem Schwanenplatz in Luzern! Die Bewohnerinnen und Bewohner der beiden Touristenmagnete atmen auf: Nun gehören die engen Gassen und Brücken wieder ihnen zum Einkaufen und Flanieren. Sie teilen sie gerne mit Individualgästen aus aller Welt.

Also keine Selfie-Sticks mehr im Auge von den in Horden und mit «Ellenbogen raus»-Mentalität zwischen Kapellbrücke und Löwendenkmal hastenden «Durchlauferhitzer-Touristen». Keine «Hühnerfüsse mit Reis»-Poster mehr vor dem Migros-Restaurant. Nun gilt wieder «Klasse statt Masse». Endlich ist der Dichtestress weg, und doch lebt die Luzerner Altstadt – nun aber wieder mit Einheimischen und einem anderen Gästemix. Der Rhythmus ist gemächlicher. Die neuen Touristen scheinen nicht weniger einkaufsfreudig. Davon zeugen all die Taschen und Säcke mit den Schriftzügen und Logos der noch verbliebenen lokalen Geschäfte entlang der Haupteinkaufsstrecke, der Hertensteinstrasse. Den Geschäftsinhabern an der «Uhren- und Schmuckmeile» des Grendels und den Besitzern von «45-Franken-Halbpensions-Absteigen» in der Zentralschweiz für durchreisende Gruppen aus Asien wird d ieser Paradigmenwechsel kaum passen.

Was lässt sich daraus ableiten? Um gute Gastgeberinnen und Gastgeber zu sein, muss man mit sich selbst zufrieden sein. Das waren wir im Vor-Corona-Dichtestress an vielen Tourismus-Hotspots landauf, landab nicht mehr. Der Exodus von gepflegten Läden aller Art durch rein auf Massentouristen ausgerichtete Geschäfte beispielsweise vergällte einem den Besuch der eigenen Altstadt. Das führte zur Verarmung des einst vielfältigen Angebots. Zum Glück gibt es dieses noch weitgehend an der Peripherie.

Genau das dürfte in der Zukunft der Ansatz sein: Statt das längst bekannte Zentrum weiter in den Mittelpunkt zu rücken, gilt es nun, die Randgebiete zu fördern. Noch nie war die Chance so gross, auch kleine und feine, noch unbekannte Orte und Gegenden den zukünftigen Gästen schmackhaft zu machen. Also lieber schon heute als morgen Nischen auftischen: Die bisherigen Tourismusmagnete in Sichtweite von Matterhorn und Jungfrau zwar weiter pflegen, aber die Akzente auf deren Nachbarschaft setzen. Also statt noch mehr auf Interlaken, den Fokus auf Bönigen, Wilderswil und Iseltwald richten. In Analogie kann das auch für die TALK-Destination gelten: Mehr Frutigen und Kandergrund statt Kandersteg und Adelboden.

Das allerdings fordert die Marketingverantwortlichen im Tourismus: Sie müssen Bewährtes erhalten und gleichzeitig Neues profilieren. Der Lohn ist mehr Vielfalt und weniger Klumpenrisiko, mehr Verständnis für den Fremdenverkehr und somit mehr Gewinn für alle.

KURT METZ

MAIL@KURTMETZ.CH


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