DER «BÄREN» ZU FRUTIGEN
Wuchtig und abweisend steht das Gebäude mitten in Frutigen, an der Oberen Bahnhofstrasse. Der hässlich graue Zementverputz macht es nicht ansehnlicher, ebenso wenig die mit starken Eisenstäben vergitterten Fenster. Diese Optik hat aber durchaus ...
DER «BÄREN» ZU FRUTIGEN
Wuchtig und abweisend steht das Gebäude mitten in Frutigen, an der Oberen Bahnhofstrasse. Der hässlich graue Zementverputz macht es nicht ansehnlicher, ebenso wenig die mit starken Eisenstäben vergitterten Fenster. Diese Optik hat aber durchaus einen direkten Zusammenhang mit der Funktion – der früheren Funktion, muss ich präzisieren. Die Rede ist vom «Bären». Das tönt zwar nach gemütlicher Landbeiz, ist aber in Wirklichkeit die «Chefi» mit dem Berner Wappen an der strassenseitigen Fassade – deshalb auch der Übername. Vielleicht erinnern sich sogar einige der Leserinnen und Leser aus eigener Erfahrung, wie die «Chefi» von innen aussieht?
Erbaut wurde das Instrument der obrigkeitlichen Abschreckung und Strafe schon 1866. Neben der Landjägerwohnung gab es acht unterschiedlich grosse Zellen, später unter dem Dach auch ein Verhörzimmer und zwei «Weiberzellen». Genutzt wurde das Gebäude als Gefängnis bis 1973, bis das neue Amtshaus mit Zellentrakt erstellt war. Die dicken Mauern könnten sicher viel erzählen über ihre Bewohner und deren Leiden. Dies betraf nicht nur die Strafen als solche, wie Anekdoten festhalten: «Beim schönsten Wetter verbrachte ich in diesem Loch 6 Tage. Halb verhungert bin ich entlassen worden.» Diese Inschrift an der Wand wirft kein wirklich gutes Licht auf die Landjägerfrau, die auch als Köchin amtierte.
Weshalb ich das alles erzähle? Das Gebäude ist weitgehend im Zustand der letzten Nutzung. Der heutige Besitzer, ein Frutiger Architekt, weiss noch nicht so recht, was damit passieren soll. Wichtig ist ihm der Erhalt des denkmalgeschützten Objekts. Ob er die Fassade aber wieder so herstellt, wie sie bis in die 1930er-Jahre war – mit aufgemalten Steinquadern statt abschreckendem Verputz? Ob er die Zellen als spartanische (Gäste-) Zimmer mit einem gemeinschaftlichen Abort vermieten will? Entstehen Ateliers für Künstler, in denen sich diese austoben können? Werden demnächst Lesungen und Ausstellungen hinter Gittern durchgeführt? Es gibt viele Möglichkeiten für dieses Erbe der Berner Justiz – die Hauptsache ist, dass niemand mehr unfreiwillig in den Frutiger «Bären» muss.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
H.SCHNEIDER@FRUTIGLAENDER.CH