Schüler beeindrucken Bühnenprofis
02.07.2021 Reichenbach, Kiental, Bildung|SchuleLetzte Woche fand die Abschlussfeier der «Erlebnis.Schule» statt. Das dort aufgetretene Minitheater Hannibal war vom Konzert der Kinder und vom Konzept der Schule derart angetan, dass es spontan auf eine Gage verzichtete.
«Wir mussten von Zürich hierher ins Oberland ...
Letzte Woche fand die Abschlussfeier der «Erlebnis.Schule» statt. Das dort aufgetretene Minitheater Hannibal war vom Konzert der Kinder und vom Konzept der Schule derart angetan, dass es spontan auf eine Gage verzichtete.
«Wir mussten von Zürich hierher ins Oberland kommen, um zu realisieren, welches Juwel die ‹Erlebnis.Schule› ist», sagte Adrian Schulthess vom Minitheater Hannibal. Zusammen mit seiner wortund stimmgewaltigen Partnerin Andrea Fischer Schulthess trat er letzte Woche als Überraschungsgast an der Abschlussfeier der «Erlebnis.Schule» auf.
Schulleiterin Anna Katharina Baumgartner erzählte, dass sie vor Jahren mit ihren eigenen Kindern das Märchen- und Geschichtenfestival Klapperlapapp besucht hatte. «Eines der Märchenzelte hat es uns besonders angetan, dorthin sind wir immer wieder zurückgekehrt. Es war das Zelt, in dem das Minitheater Hannibal gespielt hat.» Sie habe sich geschworen, die beiden Märchenerzähler eines Tages in die «Erlebnis.Schule» einzuladen, sobald es die Finanzen zulassen würden.
Doch zu Beginn der Feier war all das noch geheim – es sollte für die Schüler-Innen und Angehörigen eine Überraschung sein. Zuerst waren die Kinder an der Reihe. Wochenlang hatten sie geprobt, neue Lieder einstudiert und diejenigen, die sie durchs Jahr hindurch gesungen hatten, wieder aufgefrischt.
Indianerlieder und andere Abenteuer
Wegen der Schlechtwetterprognose war das Fest kurzerhand ins Kirchgemeindehaus Reichenbach verlegt worden, damit doch noch alles coronakonform stattfinden konnte. Nach einer Stärkung am Stand der Metzgerei Martins strömten die Kinder ins Innere und versammelten sich auf der Bühne. Einige Schüler von «Zyklus 2» hatten im Unterricht während des letzten halben Jahres Ukulele und Schlagzeug gelernt. Sie begleiteten sich an diesem Tag gleich selbst.
Die Darbietung begann mit fünf Indianerliedern. Insgesamt sangen und musizierten die Schüler fast eine Stunde lang auf einem mehr als bühnenreifen Niveau und tiefer Hingabe. Ergänzt wurde das Programm um einen Foto-Jahresrückblick, der erahnen liess, was die Kinder nebst den klassischen Fächern alles erlebt und gelernt hatten. So hatten sie letztes Jahr einen Garten angelegt, in dem heute Bohnen, Erdbeeren, Salat und vieles mehr wachsen. Die Fotos zeigten die Schüler beim Reparieren von Velos, im Wald, im Bachbett, in der Werkstatt, beim Kochen, bei Parcours und bei ihren Projektarbeiten.
Dass die Kinder nebst dem regulären Schulstoff noch viel Nützliches fürs Leben lernen, betonte nebst den Eltern auch die Schulleiterin auf der Bühne – und erzählte von Frau Honig.
Das Prinzip von Frau Honig
Frau Honig kann zaubern und ist ein bisschen wie Mary Poppins – die Protagonistin einer Buchreihe von Sabine Bohlmann. Eines von Bohlmanns weiteren Werken heisst «Frau Honig und die Schule der Fantasie». Darin übernimmt Frau Honig als Stellvertreterin eine Schulklasse und stellt deren Unterricht und den Stundenplan komplett auf den Kopf. Plötzlich zählen nicht mehr nur gute Noten. Gelobt wird auch der «schlechteste» Schüler, weil er sich besonders angestrengt und verbessert hat. Frau Honig, die immer mit einem Korb voll Bienen unterwegs ist, führt Fächer ein wie «Glück», «Fantasie» oder «aus Alt mach Neu». Sie bringt den Kindern bei, wie man Regale zusammenbaut, Knöpfe annäht oder Blumen sät. Dieses Buch hat Anna Katharina Baumgartner den Kindern vorgelesen. Die darin beschriebene Art von Schule entspricht dem Grundgedanken der «Erlebnis.Schule»: Lernen durch Erleben, damit die Kinder nie ihre Freude und Neugierde verlieren.
Passend zu dieser Haltung gab es zum Abschluss des Schuljahrs eine Extraportion strahlender Kinderaugen – denn nun trat das Minitheater Hannibal auf.
Da blieb kein Auge trocken
Andrea Fischer Schulthess sah mit ihren grossen Blumen und Schmetterlingen im Haar und dem violetten, voluminösen Rock aus wie ein Paradiesvogel. Sie und ihr Partner Adrian Schulthess erschufen mit nur wenigen Hilfsmitteln eine ganz besondere Märchenwelt. Sie interpretierten Grimms Klassiker in neuer Form, parodierten die Märchen, transportieren sie in die heutige Zeit und versahen sie mit so viel Wortwitz, Pointen und Improvisationstalent, dass kein Auge trocken blieb und der ganze Saal lachte.
Der besondere Esprit, den sowohl die LehrerInnen als auch die SchülerInnen an diesem Fest versprühten sowie das Konzept der Schule berührten das Künstlerduo so sehr, dass es seinen Auftritt der Schule kurzerhand schenkte. Für diese grosszügige Geste gab es Standing Ovations. Andrea Fischer Schulthess erklärte der Schulleiterin später, dass der Sohn der beiden Schauspieler nicht ganz unschuldig sei an diesem Geschenk. Er mache zurzeit die Matura und von klein auf habe er immer gesagt, man müsste die Schule neu erfinden. Dass es eine solche Schule, die das Glück der Kinder genau so hoch gewichtet wie den Lehrplan, hier in Reichenbach bereits gebe, habe sie zutiefst bewegt.
Und so trugen an diesem Tag viele Kinder und Erwachsene den Geist von Frau Honig in die Welt hinaus. Oder zumindest in die Sommerferien.
RACHEL HONEGGER