«Hangrutsche gab es bis jetzt keine»
06.08.2021 WirtschaftEigentlich ist Toni Rösti Rentner. Doch der Alt-Landwirt und Rundholzbauer will so lange an Giesenen z'Alp gehen, wie es seine Gesundheit zulässt.
KATHARINA WITTWER
Auf Neujahr 2021 haben Toni und Rosmarie Rösti altershalber ihren Bauernhof an der ...
Eigentlich ist Toni Rösti Rentner. Doch der Alt-Landwirt und Rundholzbauer will so lange an Giesenen z'Alp gehen, wie es seine Gesundheit zulässt.
KATHARINA WITTWER
Auf Neujahr 2021 haben Toni und Rosmarie Rösti altershalber ihren Bauernhof an der Haslistrasse in Frutigen an ihren Sohn Adrian übergeben. Der Junior ist gelernter Landmaschinenmechaniker und arbeitet in einem Vollpensum auswärts. Wie in der Landwirtschaft so üblich, setzt die ältere Generation ihre Kräfte jedoch weiterhin ein. Solange es die Gesundheit erlaubt, gehen Rosmarie und Toni Rösti noch z'Alp.
Gekäst wird nur einen Monat lang
In der zweiten Junihälfte wird jeweils gezügelt. Um 3 Uhr in der Früh marschiert die «Züglete» los und erreicht knapp vier Stunden später Unter Giesenen. In den ersten drei Wochen weiden dort 43 reinrassige Simmentaler (Jungvieh und 24 Milchkühe, davon 3 fremde). Anschliessend zieht die Familie für 8 Wochen auf die Voregg an Ober Giesenen und verbringt im September nochmals zwei bis drei Wochen an Unter Giesenen.
Während der Schulferien leben auch die Schwiegertochter und ihre drei Buben in der oberen Hütte. Barbara ist fürs Käsen zuständig. Nach ungefähr einem Monat ist der Käsekeller voll. Platz gibt es nämlich bloss für 46 Laibe à etwa 10 kg. An den Alpkäsemeisterschaften erzielten Röstis in den letzten Jahren regelmässig das Maximum von 20 Punkten. Ihr Produkt kommt allerdings nicht in den Handel. Sie käsen hauptsächlich für den Eigenbedarf und können zusätzlich auf einen kleinen Kundenstamm zählen. Vor und nach der Käse-Saison wird die Milch jeden Tag zur Sammelstelle in Frutigen gebracht. Oft verbindet Rösti diese zeitaufwendige Fahrt mit Arbeiten im Talbetrieb.
«Edle» Alphütten aus Rundholz
Röstis Alphütten fallen auf. 2007 wurde die untere Hütte mit viel Eigenleistung neu errichtet. Da Toni Rösti auch Rundholzbauer ist, konstruierte er sämtliche Wände aus Rundholz. Der Innenausbau erinnert an eine Wald- oder Skihütte. Mit viel Herzblut und Liebe zum Detail hat er Küchenabdeckungen, Treppen, Geländer, Türen und viele weitere Details entweder aus Rund- oder aus Altholz gezimmert und geschreinert. Das Hüttendach an Unter Giesenen ist sogar mit Schindeln gedeckt.
Zwei Jahre später wurde die obere Hütte erneuert. Weil hier gekäst wird, ist die Küche grösser und vor allem zweckmässig. Punkto Exklusivität des Innenausbaus steht die Hütte ihrer «älteren Schwester» in nichts nach. Für Linus, Lukas und Jonas hat der Grossätti auch ein grosszügiges Zimmer ausgebaut.
Wildheuen statt Schafe sömmern
In den Statuten der Alpgenossenschaft steht, dass jeder «Besetzer» (Älpler) pro Kuhrecht und Sommer drei Stunden Raumwerk leisten muss. Darunter fallen schwerpunktmässig Weg- und Weidepflege. «Wegen der vielen Niederschläge und der beiden Hagelereignisse haben die Bäche viel Geschiebe mitgebracht und unter anderem den Zufahrtsweg arg in Mitleidenschaft gezogen. Hangrutsche gab es bis jetzt zum Glück aber keine», erzählt der leidenschaftliche Jäger.
Im August hoffen die Älpler auf ein stabiles Hoch, um ihre Wildheuflächen mähen zu können. Per Helikopter lässt Toni Rösti den Motormäher auf den ein Hektar grossen «Schafberg» fliegen. Das Wildheu wird in Netze gepackt und nach Mitholz geflogen, wo es zu Ballen gepresst wird. Diese wiederum transportiert er mit dem «Aebi» in die Alphütten. Falls Schnee fällt und mehrere Tage liegen bleibt, muss das Vieh im Stall bleiben und gefüttert werden. Ohne Subventionen würde sich diese Arbeit, bei der Verwandte mit anpacken, in keiner Weise rechnen. Wildheuen ist aber wichtig für den Erhalt der Biodiversität. Wird an Steilhängen gemäht, verringert sich ausserdem im Winter die Lawinengefahr.
Mehr Bilder finden Sie in unserer Galerie unter www.frutiglaender.ch/galerie.html
Giesenen in Zahlen
Von Mitholz führen ein steiler, ruppiger Fahrweg und ein noch steilerer Bergwanderweg an Giesenen. 320 Hektaren Alpweideland – im unteren Teil ist es steinig – liegt eingebettet zwischen Sattel-, Ärmig- und Dündenhorn bis zur Bire. Die zweistafelige Alp (220 Kuhrechte) erstreckt sich von rund 1400 bis auf 2400 m ü. M. Von den einst zwölf Besetzer-Familien sind heute noch sechs geblieben (Martin Künzi, Peter Wandfluh, Gwehr Hager, Ueli Schütz, Therese Steiner und Toni Rösti). Alle Bewirtschafter käsen, einige jedoch nur wenige Wochen. Nicht mehr benutzte Alphütten und Ställe – alle befinden sich in Privateigentum – zeugen von früheren Zeiten. Auf dem Schafberg werden keine Tiere mehr gehalten. Stattdessen wird Wildheu gemacht.
WI