Festklammern oder anspringen?
27.08.2021 Gesundheit, NaturSommerzeit ist Zeckenzeit. Doch wie fängt man sich einen solchen Blutsauger eigentlich ein? Eins vorweg: Büsche und Bäume zu meiden, bringt nichts. Die kleinen Plagegeister lauern meist tiefer auf den richtigen Augenblick.
MARK POLLMEIER
Zecken sind nicht ...
Sommerzeit ist Zeckenzeit. Doch wie fängt man sich einen solchen Blutsauger eigentlich ein? Eins vorweg: Büsche und Bäume zu meiden, bringt nichts. Die kleinen Plagegeister lauern meist tiefer auf den richtigen Augenblick.
MARK POLLMEIER
Zecken sind nicht sonderlich beliebt. Dass sie unser Blut wollen, wäre noch zu verschmerzen. Aber sie können auch gefährliche Krankheiten übertragen: die Lyme-Borreliose, die durch ein Bakterium übertragen wird, und eine bestimmte Form der Hirn(haut)entzündung, die von einem Virus ausgelöst wird. Gemessen am gesundheitlichen Schaden, den Zecken anrichten, sind sie für den Menschen die gefährlichsten Wildtiere des Landes, ja sogar weltweit. Es ist also durchaus angebracht, sie ernst zu nehmen – doch wie kann man ihnen aus dem Weg gehen?
In der Natur fast gar nicht. Zecken kommen überall dort vor, wo ihre Wirtstiere leben – wobei sie bei der Auswahl ihrer Opfer nicht allzu wählerisch sind. Die meisten Zeckenarten warten lauernd auf ihre Wirtstiere, so auch der Gemeine Holzbock, die in unseren Breiten häufigste Zeckenart. Um eine Blutquelle zu finden, klettern die winzigen Spinnentiere meist an die Spitze eines Grashalms. Dieser Standort hat für die Tiere mehrere Vorteile. Einerseits registrieren sie dort am ehesten, wenn sich ein potenzieller Wirt nähert. Zum Zweiten ist die Höhe eines Grashalms am besten geeignet, um sich an das Opfer zu klammern. Drittens ermöglicht ein nicht zu hoher Standort der Zecke, schnell die lebensnotwendige Feuchtigkeit zu tanken. Vor allem bei sonnigem, trockenem Wetter muss das Tier regelmässig zum Boden krabbeln, um sich zu versorgen. Und je kürzer dieser Weg ist, desto leichter hat es die Zecke.
Sehr aufmerksame Blutsauger
Die Notwendigkeit, stets genug Feuchtigkeit verfügbar zu haben, hat auch Auswirkungen auf den bevorzugten Lebensraum der Zecken. Während sie in unseren Breiten überwiegend in Wiesen und Weiden lauern, sind sie in südlicheren Regionen eher im feuchten Unterholz von Wäldern anzutreffen.
Auf höheren Büschen und Bäumen sitzt zumindest der Gemeine Holzbock nie. Ein solcher Platz würde es nur unnötig kompliziert machen, an ein Opfer zu gelangen. Dass sich durstige Zecken von oben fallen lassen, ist also ein Märchen. Auch anspringen können sie einen nicht, schon weil ihnen dazu die nötige Beinmuskulatur fehlt.
Wie aber kommt die Zecke zum Wirt? Indem sie sehr aufmerksam ist. Die Blutsauger reagieren auf jede Veränderung in ihrer Umgebung, sei es ein Wechsel der Lichtverhältnisse (von hell zu dunkel), ein steigender CO2-Gehalt in der Luft (durch das Ausatmen der Opfer) oder schlicht durch leichte Bodenerschütterungen. Sobald eine Zecke ein solches Signal wahrnimmt, macht sie sich bereit: Sie positioniert sich in Richtung des Wirtes und streckt ihre Vorderbeine weit aus, um sich im geeigneten Moment festhalten zu können. Steht das Opfer still, bewegt sich die Zecke auch mal ein paar Zentimeter darauf zu.
Hat sie sich erst einmal festgekrallt, ist eine Zecke nur schwer zu entfernen. Sitzt sie etwa auf der Kleidung, muss man schon einige Kraft aufwenden, um sie dort herunterzubekommen – ein einfaches Drüberwischen mit der Handkante genügt definitiv nicht.
Ein ausgeklügelter Chemie-Cocktail
Zecken stechen selten sofort. Meist krabbeln sie noch eine ganze Weile auf ihren Wirten herum – beim Menschen zum Beispiel, um unter die Kleidung zu gelangen. Die geeignete Stelle zum Blutsaugen wählt eine Zecke nach zwei Gesichtspunkten aus. Die Haut darf an der Stichstelle nicht zu dick sein. Ausserdem muss der «Futterplatz» warm und stets etwas feucht sein – weswegen Zecken beim Menschen gerne in den Hautfalten der Gelenke, zum Beispiel in der Leistenbeuge oder der Achselhöhle, sitzen.
Das Blutaufnehmen selbst ist ein hochkomplexer Vorgang, bei dem die Zecke abwechselnd saugt und einen chemischen Cocktail in die Wunde spritzt. Dieser verdünnt das Blut, betäubt die kleine Wunde und wirkt auch noch entzündungshemmend, damit die Zecke ihre Mahlzeit möglichst ungestört beenden kann. Leider gelangen mit dieser Mixtur mitunter auch die genannten Krankheitserreger in den Blutkreislauf.
Finger weg von Öl und Klebstoff
Dass Zecken Menschen befallen, ist übrigens auch für die Tiere selbst ungünstig. Für die Fortpflanzung braucht ein vollgesogenes Zeckenweibchen ein Männchen. Sitzt das Weibchen beispielweise auf einem Reh, wartet es einfach, bis sich irgendwann ein männliches Tier dazugesellt – dann kommt es zur Paarung und später zur Eiablage im Boden. Beim Menschen funktioniert diese Strategie jedoch selten. Bevor es zur Fortpflanzung kommt, werden die Tiere meist entdeckt, entfernt und getötet.
Zur Entfernung von Zecken gibt es allerlei merkwürdige Tipps. Einer davon besagt, man solle Öl oder Klebstoff auf das Tier träufeln. Dadurch werde ihm die Luft ausgehen, sodass es von selbst loslässt. Was passiert, ist jedoch Folgendes: Die Zecke gerät in Panik und «erbricht» ihren Mageninhalt in die offene Wunde. Rund 80 Prozent der Borelliose-Infektionen entstehen durch genau solche «Behandlungen».
Das richtige Vorgehen ist, die Zecke rasch und ohne allzu viel Drücken mit einer Pinzette zu entfernen. Dazu muss das Tier allerdings möglichst dicht über der Haut (nicht am Hinterleib) gepackt werden. Dann kann man sie meist mit einem beherzten Ruck herausziehen. Manchmal ist dazu leichtes Drehen nötig.
Schleudergang? Kein Problem!
Zuletzt soll ein weiterer Zeckenmythos beleuchtet werden: die Wartedauer. Zecken könnten «jahrelang» auf ihr Opfer lauern, heisst es manchmal. Das ist so halb richtig. Tatsächlich kann der Gemeine Holzbock bis zu einem Jahr ohne Blutmahlzeit überleben und dementsprechend monatelang auf ein Opfer warten. Manche Arten schaffen es sogar fünf Jahre ohne Nahrung.
Konnte sich eine Zecke einmal mit Blut versorgen, ist sie tatsächlich sehr langlebig und wird unter günstigen Bedingungen bis zu zehn Jahre alt. Dabei hilft den Tieren, dass sie ausserordentlich zäh sind. Zecken überleben Waschgänge bis zu 40 Grad (inklusive Schleudern), sie können drei Wochen unter Wasser überleben, etwa bei Überschwemmungen. Selbst Frost macht ihnen nichts aus, weswegen sie auch in Sibirien heimisch sind. Erst bei dauerhafter Kälte von unter –15 Grad wird es für die Zecken gefährlich.
Unter normalen Umständen werden Zecken etwa drei bis sechs Jahre alt. Für ihre Entwicklung von der Larve bis zum geschlechtsreifen Tier brauchen sie nämlich genau drei Blutmahlzeiten.