Jagdgedanken, Jagdgefühle

  31.08.2021 Gesellschaft

ESSAY Der Herbst naht – bald sind wieder die Jäger unterwegs. Zur Entrüstung jener, die das Jagen als Frevel an der Natur empfinden. Für die andern ist es die wohl edelste Art der Nahrungsbeschaffung. Ihnen gilt eine Ausstellung in Bern, die zum Nachdenken anregt.

TONI KOLLER
Zuerst wars der Vegetarismus, nun wird auch das Veganertum immer populärer – das Spektrum der Denkweisen ist weiter denn je. Wer grundsätzlich den Konsum jeglicher tierischer Produkte ablehnt, für den ist das vielleicht Schlimmste die Jagd. Frei lebenden, wehrlosen Tieren aufzulauern, um sie aus der Distanz hinterlistig abzuknallen: Die Tierschutzorganisation PETA Schweiz nennt das «ein blutiges Hobby», bei dem es «um die reine Lust am Töten» gehe. Manche Jagdgegner sprechen unverblümt von «Tiermord».

Was darf der Mensch?
Das Wort «Mord» ist bezeichnend, bezieht sich dieser Begriff doch üblicherweise nur auf Tötungsdelikte unter Menschen. Prinzipielle Jagdgegner hingegen verwischen die Artengrenze. Sie lehnen das menschliche Vorrechtsdenken ab, das sie «Speziesismus» nennen: Als Anti-Speziesisten betrachten sie den Menschen als Teil einer ganzheitlichen Natur, in welcher keine Spezies, keine Art irgendwelche Privilegien gegenüber anderen Arten haben darf. Also schon gar kein Recht, Angehörige anderer Arten zu töten.

Nun wissen natürlich auch die Anti-Speziesisten, dass in der Natur seit jeher das Fressen und Gefressenwerden die Regel ist. «Die Tiere wissens halt nicht besser, sie können gar keine Ethik entwickeln», heisst es dann. Der Mensch hingegen, als oberstes Glied in der Nahrungskette, sei zu verantwortungsvollem Denken fähig – und dürfe sich deshalb in keiner Weise an der Tierwelt vergreifen.

Jagdkritik mit Widersprüchen
Damit gestehen die Anti-Speziesisten den Menschen allerdings schon wieder eine Sonderstellung innerhalb der Natur zu – ihr Gedankengebäude verstrickt sich im Widerspruch. Schlimmer noch: Auch mit den Urvölkern, die sich vom Jagen und Fischen ernähren, sind die zeitgenössischen Jagdgegner merkwürdigerweise nachsichtig. Diese Völker seien nämlich in ihren Traditionen gefangen, infolge ihres Entwicklungsstands «wüssten sie es einfach nicht besser». Es liegt nahe, solche Herablassung gegenüber Naturvölkern als Rassismus zu deuten. Geäussert ausgerechnet von Amerikanern und Europäerinnen, die sich als Anti-Speziesisten gerne auch auf ihren Antirassismus berufen.

Bodenständige Jäger
Wie auch immer – im Alpinen Museum Bern wird es den urbanen Jagdskeptikern derzeit nicht gefallen. Die Ausstellung «Auf Pirsch. Vom Handwerk der Jagd» lässt eine Handvoll Jäger (darunter eine Jägerin!) aus Schweizer Bergregionen zu Wort kommen. Sie schildern, wie sie sich übers Jahr auf die Jagdzeit vorbereiten, wozu auch das vielgerühmte «Hegen und Pflegen» von Wald und Wildbestand gehört. Wie es sich anfühlt, stundenlang unbeweglich beobachtend zu warten, bis das Reh, die Gämse oder der Hirsch des Begehrens vor dem Gewehrlauf erscheint. Dann der hochkonzentrierte Moment des Zielens und Abdrückens, in dem des Jägers Erregung sein Mitgefühl für die Kreatur verdrängt. Und schliesslich will das Tier ausgenommen, zerlegt (wenn das nicht ein Metzger macht) und kulinarisch zubereitet sein.

Ein zwiespältiges Glück
Die Jagd sei «Teil des vielfältigen Beziehungsgeflechts zwischen Menschen und Tieren», heisst es auf einer Ausstellungstafel. Das klingt etwas beschönigend, denn in diesem Beziehungsgeflecht zieht das Tier – nicht nur bei der Jagd – in aller Regel den Kürzeren. Daran erinnert die grossformatige Fotografie eines aufgeschlitzten Hirschs, wie er in seinem Blut in verzerrter Haltung auf dem Kellerboden des Jägers liegt. Und wenn es auch das edle Bestreben des Waidmanns ist, seine Beute ohne Leid zu erlegen: Einem jeden kann der «Horror» (Jägerzitat) eines ungenauen Schusses passieren, mit einem nur verletzten, flüchtenden und qualvoll verendenden Opfer. Ausgeklammert bleiben in der Ausstellung auch die in der Schweiz nicht praktizierten Formen der Jagd, bei der die Wildtiere durch kläffende Hundemeuten in grosse Angst versetzt werden.

Rehherz-Tatar
Es bleibt das Bild von Jägern, die ihre Faszination als dankbare Teilhabe an der Natur erleben. Schliesslich ist diese Art der Fleischgewinnung das wohltuende Gegenstück zur futterimportabhängigen, antibiotikagetränkten Massentierhaltung. Dass der Jäger dabei in der natürlichen Nahrungskette unangefeindet zuoberst steht, ist wohl das Privileg des Menschen als «Krone der Schöpfung».

Ginge es um die blosse Lust am Töten, wäre das ein sehr zweifelhaftes Privileg. Doch diese Jäger nutzen das Vorrecht immerhin zu ihrer Verköstigung. «Nose to tail» heisst das heute, von der Nase bis zum Schwanz wird alles genutzt und verspeist. Bis hin zum Herz des Rehs, woraus der eine Jäger jeweils ein delikates Herz-Tatar anzurichten pflegt. Und wie sagt es die Bündner Jägerin in der Ausstellung über die Jagd und die Verwertung des Fleisches: «Wenn ichs nicht essen würde, dann täte ichs nicht.»

Die Ausstellung «Auf Pirsch. Vom Handwerk der Jagd» ist im Alpinen Museum Bern bis am 2. Januar zu sehen.


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