PFAFFENGRIFFEL – Aufs Kreuz gelegt von einer Frau
03.08.2021 KolumneAufs Kreuz gelegt von einer Frau
Als braver Bürger schmeisse ich leere Flaschen farblich sortiert in den Container, entsorge zwei Mayotuben im Alukübel und will weiter, aber da stellt sich mir eine in den Weg. Aufgelauert hat sie mir wie eine Spinne der Mücke und nun ...
Aufs Kreuz gelegt von einer Frau
Als braver Bürger schmeisse ich leere Flaschen farblich sortiert in den Container, entsorge zwei Mayotuben im Alukübel und will weiter, aber da stellt sich mir eine in den Weg. Aufgelauert hat sie mir wie eine Spinne der Mücke und nun zapple ich im Netz, einem Netz aus erstaunlich gutem Deutsch: «Haben Sie mir bitte Arbeit? Putzen, kochen, in Garten, ich kann alles. Ich brauche dringend Arbeit für Miete. Ich kann nicht zahlen und Vermieter holt Polizei, und kommen Polizei, sie stellen mich an Grenze, und dann muss zurück nach Mazedonien und meine drei Kinder haben keine Mama.» Nee, Arbeitgeber bin ich nicht. Meine Scheiben sind auf Hochglanz, mein Gärtli ist gejätet, kochen will ich selbst und überhaupt: Schwarzarbeit unterstütze ich nicht. «Aber kennen Sie, wer Arbeit hat für mich, ich brauche dringend. Ich muss heute 3000 zahlen für Miete, sonst mein Vermieter holt Polizei und stellt mich mit drei Kindern auf Strasse. Können Sie mir bitte helfen?» Nein, ich kenne niemanden, der Arbeit hat. Und wenn ich nicht so ein braver Bürger wäre, würde ich schreien: «Blas mir in die Schuhe und scher dich zum Kuckuck!»
Nun aber entspinnt sich eine verzwickte Debatte. Ich: «Gehen Sie doch zum Sozialamt!» «Nein, dann wissen sie, dass ich illegal hier und schicken mich zurück. Ich bin geflohen von grausamem Muslim, mit dem ich zwangsverheiratet war. Ich bin Christin. Ich bete für Sie. Sie sind doch mein Bruder. Sie müssen mir helfen.» Ups, die durchschaut mich total und klebt ihre Spinnenfäden gezielt an meine Schwachstellen. Ich grüble einen Fünfliber hervor, habe sonst nur Grobes dabei. Sie nimmt ihn: «Danke, ich will nicht betteln. Ich schäme mich zu betteln, aber 3000 Franken für die Miete, bitte, sonst holt Polizei und …» (Selber einfüllen, liebe Leser: eindringliche Worte für zwei Minuten). Heilsarmee? «Nein, die geben nur Essengutscheine.» Caritas? «Ich war schon da, sie wollen nicht helfen.» Zum Pfarrer, gleich da drüben! «Nein, Pfarrer gibt nur mit Quittung und Quittung geht zu Staat und dann stellen mich an Grenze. Sie sind doch Christ, und ich bin auch. Sie können einer Glaubensschwester helfen. Warum wollen Sie nicht?» Undsoweiter.
Nach einer Viertelstunde ist meine Birne voll vom ganzen Elend dieser Welt. Ich fühle mich hilflos, wütend, unsicher, beschämt, angewidert – ich ging doch gut gelaunt aus dem Haus! Jetzt komme ich mir vor wie der letzte Dreck. Ich laufe ihr schliesslich davon, sowas von unanständig! Sie läuft laut redend nebenher, Leute drehen sich um. Endlich lässt sie mich. Ich desinfiziere vor dem Laden brummend die Hände, verstecke meinen Unmut hinter der Donners-Coronamaske und kaufe ein. Ich vermags, klar könnte ich helfen! Aber das Ganze ist doch nur eine Masche. So erwischt sie Gutmenschen wie mich und bringt das Geld ihren Zuhältern. – Und wenn es doch wahr wäre? Insgeheim bewundere ich dieses Weib für ihre Hartnäckigkeit. Ich könnte das nicht. Ich habe noch nie im Leben jemanden so unter Druck gesetzt! Nach der leisesten Zurückweisung ziehe ich gleich die Fühler ein. Sie aber bettelt unermüdlich und sticht hemmungslos in meine Schwachstellen. Hat nicht Jesus so eine hartnäckige Frau als Vorbild angeführt, um uns zu beharrlichem Beten zu motivieren (die zudringliche Witwe, Lukas 18)? Hat der Meister nicht gesagt: «Wer dich bittet, dem gib?» An der Kasse wird mein Hunderter gewechselt. Kaum auf der Strasse, gellt es in mein Ohr: «Sehen Sie, da treffen wir uns wieder! Nicht Zufall, Führung von Himmel! Gott will, dass Sie mir helfen.» Ich drücke ihr einen grünen Fünfziger in die Hand und ergreife wortlos die Flucht. Die 55 Franken werde ich unter dem Konto «Weiterbildung» verbuchen.
RUEDI HEINZER
RUEDI.HEINZER@GMX.CH