SCHRITT FÜR SCHRITT – Läuft! Oder doch nicht?
24.08.2021 KolumneLäuft! Oder doch nicht?
Sommerzeit ist Ferienzeit. Da ich mich gerne in den Bergen bewege, plane ich meine Ferien als einen Etappenlauf über die Schweizer Alpenpässe. Nur laufen, essen, trinken und schlafen sollten meine Beschäftigungen in den nächsten 15 Tagen sein. ...
Läuft! Oder doch nicht?
Sommerzeit ist Ferienzeit. Da ich mich gerne in den Bergen bewege, plane ich meine Ferien als einen Etappenlauf über die Schweizer Alpenpässe. Nur laufen, essen, trinken und schlafen sollten meine Beschäftigungen in den nächsten 15 Tagen sein. Los geht es in Chur. Um 5 Uhr morgens starte ich, damit ich es rechtzeitig vor dem angesagten Gewitter ins 55 Kilometer entfernte Lumbrein schaffe. Der Lauf in den Morgen ist wunderschön, die Temperatur angenehm, es läuft!
In Ilanz gönne ich mir erstmals eine kurze Pause. Beim Gedanken an ein Eis läuft mir das Wasser im Mund zusammen, und so kaufe ich mir eins. Ich verzehre es zügig, denn mittlerweile ist es sehr warm geworden und schon bald läuft die klebrige Creme über meine Finger. Unter laufendem Wasser von einem kühlen Brunnen kann ich mich waschen. Weiter geht es über Stock und Stein, das Laufen geht in Gehen über und das Wetter verschlechtert sich. Von nun an nimmt das Unglück seinen Lauf. Ein Gewitter entlädt sich über mir und ich kann mich gerade noch in eine Scheune retten. Dann verlaufe ich mich auch noch, und ich muss einen steilen, mit Gestrüpp und Brennnesseln zugewachsenen Hang hinaufkraxeln. Endlich erreiche ich Lumbrein. Die Nacht wird allerdings nicht schön. Meine Beine sind übersät mit gros sen Quaddeln, und es fühlt sich an, als würde Strom durchlaufen. An Schlaf ist nicht zu denken.
Am nächsten Morgen regnet und gewittert es weiter. Da die nächste Etappe bei solchen Wetterbedingungen zu gefährlich ist, beschliesse ich, nach Hause zu fahren. Mit dem Zug fahre ich zurück nach Chur. Von dort aus läuft erstmal gar nichts mehr. Die Bahnlinie ist wegen Unwetterschäden unterbrochen. Fast neun Stunden brauche ich, bis ich endlich in Frutigen ankomme. Im Verlauf der nächsten Tage bessert sich das Wetter allmählich, und so nehme ich einen zweiten Anlauf und reise nach Grächen, um von dort aus meine Tour fortzusetzen. Da zufälligerweise 1. August ist, läuft in der Nacht vor meinem Hotelzimmer die wohl grösste Party mit Livemusik, Gesang und Geböller. Wieder liege ich die ganze Nacht wach. Ich lasse mich davon jedoch nicht beirren und laufe am nächsten Morgen früh los. Zuerst hinunter nach St. Niklaus, hoch über den Augstbordpass, hinunter nach Gruben und wieder hoch über den Meidpass bis nach Zinal. Unterwegs überhole ich sogar noch einen Trailläufer. Es läuft richtig gut, und nach 46 Kilometern und 3300 Höhenmetern ohne Pause gönne ich mir in einem kleinen, aber schicken Hotel ein feines Nachtessen. Das kühle Panaché läuft nach so einem Tag wie geschmiert die Kehle hinunter.
Gestärkt und ausgeruht setze ich am nächsten Tag meine Tour fort. Schon bald läuft mein Motor wieder und ich bin im Flow. Von Zinal geht es hoch zum 2800 Meter hohen Col de Sorebois. Nebel zieht auf, es wird richtig kalt. Obwohl ich alle meine Kleider anziehe, läuft meine Nase. Über teils vereiste Wege geht es hinunter zum Lac de Moiry, hoch zum Col de Torrent und von Les Haudères einen wurzeligen Weg entlang bis nach Arolla. Wieder zieht ein Gewitter auf und es beginnt zu regnen. Wieder stehe ich vor einer Entscheidung. Sollte ich am nächsten Tag noch weiterlaufen? Ich muss mir eingestehen, dass es zu gefährlich ist. Wieder fahre ich nach Hause.
So läuft meine Ferienzeit langsam ab. Nichts ist gelaufen wie geplant. Trotzdem habe ich laufend wieder viele neue Regionen kennengelernt. Also, es läuft doch!
HELENE OGI
INFO@FIT-MIT-MOVIDA.CH